• Berichte 14. Geographentag in Berlin (1903) (9 MB)
Bericht von Karl zur Kerguelen-Expedition auf Seite 86
1.
Über die Kerguelen-Station der Deutschen Südpolar-Expedition.
Von dem Mitglied der Station Dr. K. Luyken.
(1. Sitzung)
Als in den Jahren 1900 und 1901 sich die weitschichtigen Vorbereitungen der Deutschen Südpolar-Expedition vollzogen,
wurde gleichzeitig auch an die Ausrüstung einer Beobachtungs-Station herangegangen, welche als Ausgangs- und
Basis-Punkt für die meteorologischen und erdmagnetischen Messungen sowohl an Bord des Südpolar-Schiffes als
auch späterhin im antarktischen Gebiet selbst dienen sollte.
Der Sitz dieser Basis-Station sollte auf den Kerguelen-Inseln
sein, welche einmal wegen ihrer südlichen und der
Operationslinie der Haupt-Expedition möglichst nahen Lage sehr geeignet schienen, dann aber auch wegen ihres
bisher fast gänzlich unbekannten Innern der wissenschaftlichen Forschung nach jeder Richtung hin reiche Ausbeute
versprachen.
Das deutsche Südpolar-Schiff "Gauß"
verließ am 11. August 1901 die Heimat. Von den Mitgliedern der
Kerguelen-Station befand sich nur der Biologe Herr Dr. Werth und der eine Matrose Urbanski an Bord des
Schiffes, während Herr Enzensperger und ich mit
dem zweiten Matrosen Wiencke wenige Tage später die Fahrt nach Sydney mit einem Schiff des Norddeutschen Llyod
antraten, um von Sydney aus mit dem ebenfalls dem Lloyd angehörigen eigens dazu gecharterten Dampfer "Tanglin"
die Reise nach den Kerguelen-Inseln fortzusetzen. Auf demselben Schiff erfolgte auch der Versand des Proviants
und der Bauhölzer für die Kerguelen-Station und gleichzeitig auch zum grossen Teil für Haupt-Expedition.
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Die Kerguelen
Lage der Kerguelen
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Nach sechstägigem Aufenthalt in Sydney, welcher zur Umladung dieser Materialien sowie zur Übernahme der aus
Ost-Sibirien hierher gesandten Polarhunde gedient hatte, verließen wir am 12. Oktober den Hafen und damit
auch die letzte Stätte der Civilisation, um in südwestlicher Richtung den Kerguelen zuzusteuern.
Die Fahrt verlief durchweg bei äußerst stürmischen Wetter und wurde besonders dadurch verlangsamt, daß wir in
der Region der sogenannten braven Westwinde gegen die konstante Windrichtung und starke Dünung anfahren mußten.
Die See ging an einzelnen Tagen sehr hoch, sodaß in zwei Fällen die bis zu 12 m sich auftürmenden Wogen uns sogar
zum Beidrehen zwangen.
Lage der Station
Reste des Stationshauses der Deutschen Südpolarexpedition.
Auf der linken Seite eine spätere Hütte,
wahrscheinlich von Baron Decouz und
Valerian Culet. Sie versuchten, Schafe zu züchten.
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Nach einer Reise von vier Wochen, bei einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 5,7 Knoten in der Stunde, befanden
wir uns in der Frühe des 9. November vor dem Ausgange des Royal Sounds der Kerguelen, der von Südosten her
weit in die Insel eindringt, sich dann in eine Anzahl nach Westen gerichteter fjordartiger Einschnitte zerteilt
und in seinem riesigen Becken zahllose kleiner und größere Inseln umspült.
Nachdem wir in den sogenannten Three Island Harbour eingefahren waren, der von drei Inseln gebildet wird, in
Norden noch durch eine vierte vor Stürmen gut geschützt ist, überzeugte uns bald ein kurzer Besuch der
westlichen "Hog Islands", daß der anfängliche Plan, dort eine Station zu errichten, sich nicht verwirklichen
ließ. Nach Hinterlegung einer Flaschenpost gingen wir daher wieder ankerauf und fuhren in westlicher Richtung
weiter der Observatory Bay zu, die sich nach etwa einstündiger Fahrt vor uns öffnete. Nach zweitägigem Suchen
und Umkreisen des Fjords entschieden wir uns auf der südlichen Seite der Bay, dicht an ihrem etwa 15 m hohen
Ufer, für diejenige Stelle, auf welcher im Jahr 1874 die englische Volage-Expedition für eine Zeit von drei
Monaten aus Anlaß des Venus-Durchganges Beobachtungen vorgenommen hatte. Wir fanden hier dicht am Ostabhang
einen der zahlreichen Basalthügel, welche rings das Uferland bedecken, auch die windschiefe Ruine des alten
Hauses, deren Hölzer und Bretter uns ein willkommenes Ergänzungsmaterial für unsere baulichen Zwecke boten.
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Auf demselben, vor den üblichen West- und Nordwest-Winden sehr gut geschützten Platz wurde auch der Bau den
neuen Stationshauses in Angriff genommen.
Während der Zeit vom 9. November bis 21. Dezember blieb der "Tanglin" in der Bucht. Es galt zunächst
die Bauhölzer sowie den Proviant der Kerguelen-Station an Land zu schaffen, worauf dann der Bau des Wohnhauses
und, nicht allzu weit von diesem entfernt, der des magnetischen Variationshauses ausgeführt wurde.
Da das erwartete Südpolar-Schiff "Gauß" noch immer nicht eingetroffen war, mußten auch die für dasselbe
bestimmten Bauhölzer nebst Proviant und Kohlenladung an Land gegeben werden. In Anbetracht der unter dem
Einfluß des Klimas völlig schlappen, unfähigen chinesischen Mannschaft, die unsere Arbeiten nur in minimaler
Weise unterstützte, konnte die Löschung nur dadurch bewerkstelligt werden, daß der "Tanglin" für die Zeitdauer
von 10 Tagen an einer nicht ungefährlichen Stelle in unmittelbarer Nähe eines Felsvorsprunges anlegte,
wobei der Kapitän des Schiffes, Herr Neuhauß, in sehr umsichtiger und geschickter Weise zu Werke ging, um für den
Fall eines von Norden oder Osten her einbrechenden Sturmes gesichert zu sein. Nach Ablauf dieser zehn glücklich
überstandenen Tage ging das Schiff wieder an der früheren Stelle vor Anker und blieb daselbst.
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Lage der Observatory Bay
und vom Karl-Luyken-Fjord
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Während dieser Zeit erlagen zwei der chinesischen Heizer der
Beri-Beri-Krankheit, welche bereits auf der Reise unter der
Mannschaft ausgebrochen war und derart um sich griff, daß bei der Abfahrt der "Tanglin" von elf Heizern nur noch
zwei diensttauglich waren, und der Kapitän sich genötigt sah, die drei Sibirier, welche die Polarhunde
transportiert hatten, zum Kohlentrimmen anzumustern.
Nach der Abfahrt des "Tanglin", welche wie erwähnt, am 21. Dezember erfolgte, wurden die Einrichtungsarbeiten
von uns dreien, Herrn Enzensperger, mir und dem Matrosen fortgesetzt, bis endlich nach zehntägigem weiteren Warten
die dunklen Masten der "Gauß" in der Observatory Bay auftauchten. Die Begrüßung nach fast fünfmonatlicher Trennung
war eine umso freudigere, als wir alle Kameraden an Bord der "Gauß" in bester Gesundheit antrafen.
Karl-Luyken-Fjord auf der linken Seite
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Unter rühriger Mitwirkung der Mannschaft wurde eiligst ein großer Teil der Einrichtungsarbeiten sowie der Aufbau
des den absoluten magnetischen Messungen dienenden Observatoriums durchgeführt, während gleichzeitig die "Gauß"
die für ihn bestimmte Ladung durch Boote an Bord übernahm. Nach einem Monat gemeinsamer angestrengter Tätigkeit,
die uns aber auch an den Abenden manche frohe Stunde gemütlichen Beisammenseins gewährte, war alles zur Abfahrt
bereit, und am 31. Januar lichtete die "Gauß" die Anker, nachdem wir allen Kameraden, die den vielfachen
Strapazen und Gefahren der unbekannten Eisregion so mutig entgegenzogen, nochmals die herzlichsten Wünsche zugerufen
hatten. -
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Für den 1. Februar war der Beginn des sogenannten internationalen Beobachtungsjahres festgesetzt. Es begannen
daher um diese Zeit auch bei uns die regelmäßigen meteorologischen und erdmagnetischen Messungen. Der meteorologische
Dienst, welcher von Herrn Enzensperger versehen wurde, entsprach demjenigen einer Station erster Ordnung, erstreckte
sich also auf die Terminbeobachtungen und die fortlaufende Registrierung der Elemente des Luftdrucks, der Temperatur,
der Feuchtigkeit sowie der Windrichtung und Geschwindigkeit. Die Temperatur des Erdbodens wurde an einer erst nach
langem Suchen ausgefundenen Stelle bis zu einer Tiefe von 2 m in täglichen Ablesungen kontrolliert. Später traten
noch regelmäßige photometrische und luftelektrische Messungen hinzu. Während der ersten Zeit war auch auf einem
etwa 150 m hohen Basaltkegel, dem höchsten Punkt der näheren Umgebung, eine meteorologische Höhenstation
errichtet.
Die mir überwiesenen erdmagnetischen Arbeiten bestanden in der photographischen Registrierung der Variationen
der Deklination sowie der Horizontal- und Vertikalkomponente der Intensität. Sie wurden in dem eigens dazu
erbauten, vor Witterungseinflüssen sehr geschützten Variationshause vorgenommen.
Der jeweilige Stand und Gang dieser Instrumente wurde durch die in dem freigelegenen zweiten Observatorium
veranstalteten absoluten Messungen zum Teil täglich, zum Teil in Zwischenräumen von
8 bis 10 Tagen geprüft.
Die von Herrn Dr. Werth frühzeitig unternommenen biologischen Untersuchungen beschränkten sich auf die nähere
Umgebung der Station. In der Bay sowie in den nächstgelegenen Süßwasserseen wurden regelmäßige Planktonfänge
gemacht und tägliche Temperaturmessungen vorgenommen, um auch ein Bild von dem den Entwicklungsgang der
Plankton-Organismen beeinflussenden Gang der jährlichen Temperaturkurve zu gewinnen.
Da außer den wissenschaftlichen Untersuchungen noch manche kleinere Einrichtungsarbeiten notwendig wurden, konnte
an den Plan einer Exkursion noch nicht herangegangen werden. Zudem mußten wir die in Aussicht gestellte Ankunft
eines Dampfers abwarten, welcher noch die letzte Post der "Gauß" nach der Heimat abholen sollte.
Dieser der Deutsch-australischen Schiffahrts-Gesellschaft angehörige Dampfer traf am 2. April ein und
verließ uns bereits wieder am folgenden Tag. Über den Gesundheitszustand von uns konnten wir ihm die besten
Nachrichten mitgeben; blickten wir doch damals noch mit froher Zuversicht der kommenden einsamen, doch
durch genußreiche Arbeit auszufüllenden Zeit entgegen. Leider sollte das Geschick diese Hoffnungen nicht
verwirklichen und manche herbe Enttäuschung unserer warten.
Mitte April wurde von Herrn Werth und Enzensperger in Begleitung des Matrosen Urbansky eine Exkursion in das
Innere unternommen, und zwar in nordwestlicher Richtung. Nach einem mühseligen Marsch durch das von zahlreichen
Basalthöhen besetzte Küstenland sahen sie dasselbe sich nach dem Innern zu in langgezogene einfache, von
Nordwest nach Südost verlaufende Höhenzüge auflösen. Ihre Täler waren von zahlreichen
Azorella-Polstern
bewachsen, während das an der Küste sehr verbreitete
Acaena allmählich aufhörte.
Am 2. Tag ihrer Wanderung sichteten sie in nördlicher Richtung den Gazelle-Hafen und wandten sich dann nach
Westen dem hochgelegenen Firnfeld zu, dem sie am folgenden
Tag ziemlich nahekamen. Der Rückweg führte sie in
südwestlicher Richtung dem weit nach Westen in die Insel einschneidenden sogenannten "Westfjord" zu, von dem
aus sie am fünften Tag ihres Marsches wohlbehalten, wenn auch ermüdet, bei der Station eintrafen. Während der
ganzen Zeit dieser Exkursion waren sie von einem geradezu erstaunlich guten und regenlosen Wetter begünstigt
worden.
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Observatory Bay
Observatory Bay im Winter
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Den ersten dieser schönen Tage, an dem auch nur ein sehr schwacher Wind wehte, benutzte ich, um von der
sogenannten "Treppe", dem bereits vorerwähnten höchsten Berge der Umgebung aus, ein Panorama photographisch
aufzunehmen.
Aber solche Tage, denen sich bei klarem, sonnigem Himmel die großartige Scenerie des Insellandes
dem Beobachter entfaltet, blieben äußerst selten. Denn das ganze Jahr hindurch bewahrt das Wetter seinen rauhen
und unwirschen Charakter. Am häufigsten sind die aus West und Nordwest einfallenden regen- und schneereichen
Böen, welche mit nur kurzen Unterbrechungen aufeinander folgen.
Gegen diese fortlaufende Kette von Stürmen war unsere Station wohl geschützt, da, wie ich bereits eingangs
erwähnte, das Stationshaus dicht am Ostabhange des sogenannten Stationsberges lag. Um so bedenklicher aber
waren für uns die zwar nur selten aber mit umso größerer Macht orkanartig von Osten und Nordosten her
einbrechenden Stürme. Doch haben sich - abgesehen von kleineren Beschädigungen - sowohl das Wohnhaus als auch
die Observationshäuser gut bewährt. Es ist wohl erklärlich, daß auf solchem von fortwährenden Stürmen heimgesuchten
Eiland die gesamte Tier- und Pflanzenwelt sich eigenartig entwickeln muß, und daß sie trotz der niedrigen Breite,
welche bekanntlich nur 49° im Mittel beträgt, schon einen deutlichen Übergang zur Antarktis bildet.
Baum und Strauch fehlen gänzlich. Dagegen ist das Land reich an Kräutern, Moosen und Flechten. Über
20 Phanerogamen
kommen vor, unter denen das schon genannte, an der Küste auftretende Acaena und in den
Gesteinsspalten in Polsterform wachsende Azorella die verbreitetsten sind. Besondere Erwähnung verdient noch
der nur auf dieser Insel vorkommende, von Rofs entdeckte
Kerguelenkohl, der als einzig frische Pflanzenkost von
hohem Nutzen ist. Leider fand sich derselbe in unserer Gegend nur noch sehr vereinzelt vor, da die seiner Zeit
von der Volage-Expedition ausgesetzten Kaninchen sich in ungeheurer Weise vermehrt und unter dem Kohl gewaltig
aufgeräumt hatten, sodaß derselbe nur an schwer erreichbaren Stellen der Uferfelsen zu finden war. Die starke
Verbreitung des Acaena gerade in der Umgebung unserer Station muß ebenfalls den Kaninchen zugeschrieben werden,
welche die an ihrem Fell leicht anhaftenden Klettenfrüchte verschleppen.
Ort der Station
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Eigenartig wie die Vegetation ist auch die Fauna der Insel. Bekannt ist, daß alle dort vorkommenden Fliegen- und
Schmetterlingsarten zum Teil gar keine, zum Teil nur rudimentäre Flügel haben. Das einzige fliegende Insekt ist
eine kleine, etwa 1 bis 2 mm lange Mücke, welche man in den seltenen windstillen Pausen sogar in Schwärmen
beobachten kann.
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Pinguine und Robben, welche nach früheren Berichten im Norden und Nordosten der Insel besonders zahlreich
vorkommen, waren in unserer Gegend in der ersten Zeit überhaupt nicht sichtbar. Erst im Laufe des Jahres
stellten sich vereinzelte Exemplare in den nahe gelegenen Buchten ein. Etwa 12 Pinguine wurden erbeutet und der
Versuch gemacht, sie an die Gefangenschaft zu gewöhnen, um sie später lebend nach Europa zu transportieren.
Unter ihnen befanden sich Exemplare aller drei auf den Kerguelen einheimischen Arten, des
Königs-,
Schopf- und
Esels-Pinguins.
Die Zahl der vorkommenden Seevögel ist sehr groß. Unter ihnen sind besonders hervorzuheben die
Raub- und
Mantel-Möwen, der
Kormoran, die zierliche und flinke
Seeschwalbe und der
Riesensturmvogel, dann die
verschiedenen Arten der Nacht-Taucher.
Als einziger Landvogel ist der weiße
Scheidenschnabel Chinois von großem
Interesse.
Von den Robben konnten wir nur vier Exemplare erlegen, deren Fleisch uns neben dem häufig genossenen
Kaninchenfleisch als weitere frische Kost sehr willkommen war. Zunge, Leber und Muskelfleisch waren sehr
schmackhaft und bildeten je acht Tage lang unser tägliches Menu. -
Bald nach jener Exkursion im April machte sich der Beginn des Winters fühlbar. Doch brachte er in seinem ganzen
Verlauf keine große Kälte mit sich, wie ja der Wegfall der Extreme bei dem völlig maritimen Klima natürlich ist.
Während das absolute Maximum im Sommer sich in einem Ausnahmefall nur bis +18° verstieg, war das
beobachtete Minimum auch in einem einzigen Falle nur -8°. Zumeist beträgt die Temperatur wenige Grade über
Null und schwankt nur mit geringer Amplitude. Nachtfröste und Schneeböen sind auch in der Sommerzeit nicht selten.
Die wärmste Zeit fiel in den März.
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Die Station im Winter
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Der Winter bestand, ähnlich wie bei uns, in der Aufeinanderfolge einzelner Kälteperioden, in denen der Schnee
reichlicher fiel und mitunter auch einige Zeit liegen blieb. Die Tiefe der Schneedecke war meist gering; eine
genaue Messung war kaum möglich, da der Schnee an einzelnen Stellen durch die heftigen Winde weggefegt, an
anderen oft meterhoch aufgetürmt wurde. Eine derartige Kälteperiode von längerer Dauer hatten wir gegen Ende
Juli, sie hielt mehrere Wochen an, in denen auch der Schnee teilweise liegen blieb. Während dieser Zeit konnten
wir den einzigen Fall konstatieren, daß auf der Observatory-Bay Eis in großen Schollen trieb, das sich in
einigen ausnahmsweise ruhigen Nächten in den windgeschützten Buchten gebildet hatte.
Emil Werth und Josef Enzensperger
an der Station.
Aufgenommen von Karl Luyken
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Um diese selbe Zeit geschah es, daß der Gesundheitszustand des Kollegen Werth zu ernsten Bedenken Anlaß gab.
Schon seit der Exkursion im April hatte er vielfach über Schlaflosigkeit, Schwäche und schnell eintretende
Ermattung geklagt. Gegen Anfang August stellten sich zu unserer großen Besorgnis Wasserschwellungen in den
unteren Extremitäten ein und zwangen ihn zur vollkommenen Untätigkeit. Als das Wasser immer höher stieg, konnte
er das Bett nicht mehr verlassen. Dazu traten auch noch heftige Schmerzen in der Lunge, welche Atembeklemmungen
verursachten. Nach einer Reihe angstvoller Tage, in denen wir uns schon auf das schlimmste gefaßt machen mußten,
besserte sich indessen sein Zustand. Das Wasser nahm allmählich ab, und in den letzten Tagen des Augustes war es
ihm wieder möglich, kurze Zeit außerhalb des Bettes zu verbringen. Während der ganzen Folgezeit ist jedoch
Herr Dr. Werth nicht mehr in den Vollbesitz seiner Gesundheit gelangt, wenn auch zuweilen ein erfreulicher
Schritt zur Besserung sich zeigte. Bei seinen Arbeiten war außerordentliche Vorsicht geboten, da die geringste
Anstrengung wieder Anschwellungen hervorrief. Gegen Ende unserer Zeit trat abermals infolge der durch traurigen
Anlaß hervorgerufenen Gemütsbewegung und heftiger Anstrengungen ein zweiter schwerer Rückfall ein, an dem er jetzt
noch nach seiner Überführung nach Sydney darnieder liegt.
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Als Dr. Werth seinen ersten schweren Anfall überstanden hatte, begann allmählich im September auch
Herr Enzensperger zu kränkeln ohne daß jedoch bestimmte Krankheitserscheinungen auftraten. Erst Anfang November
stellten sich auch bei ihm die Schwellungen in den untersten Gliedmaßen ein. Da wurde meine bereits bei Werths
Erkrankung geäußerte Vermutung zur traurigen Gewißheit, daß wir es mit der unheimlichen Beri-Beri-Krankheit zu tun
hatten, welche offenbar seiner Zeit von der erkrankten chinesischen Mannschaft übertragen war. Es war ein seltsam
tragisches Verhängnis, daß in die antarktisch reine Luft des Insellandes, welche selbst einen harmlosen Schnupfen
nicht aufkommen ließ, die Infektionskeime einer Tropenkrankheit verschleppt werden mußten.
Um so furchtbarer war die Krankheit für uns noch deshalb, weil das einzige Medikament für die hierbei entstandene
Herzaffektion, Digitalis, fehlte, welches bekanntlich
nur aus der Hand eines Arztes Anwendung finden darf. So sahen
wir den unglücklichen Kameraden mehr und mehr leiden, ohne ihm außer kleinen Hilfeleistungen nennenswerte
Erleichterung verschaffen zu können. Leider wollte er anfangs unseren steten Vorstellungen, doch wenigstens seine
Arbeiten abzugeben, nicht Gehör leihen, versah vielmehr mit unermüdlichem, wahrhaft rührenden Pflichteifer den
meteorologischen Dienst, und zwar so lange, bis durch die zunehmenden Anschwellungen seine Kräfte derartig
aufgerieben waren, daß er das Bett nicht mehr verlassen konnte.
Von diesem Tag, dem 15. December, an begann auch seine schwerste Leidenszeit. Der Schlaf, der bisher noch
in den Nächten ihm vorübergehende Kräftigung verschafft hatte, hörte gänzlich auf, da es ihm nicht möglich war,
längere Zeit ohne Schmerzen in derselben Lage zu verharren. Immer mehr schwoll das Wasser an. Mitte Januar war
bereits sein Zustand derartig, daß bei uns alle Hoffnung auf Rettung schwand; denn das Wasser drang schon in die
Zunge und in die Fingerspitzen.
Am 1. Februar machten sich die Zeichen der beginnenden Auflösung bemerkbar. Auch begann er mehr und mehr zu
phantasieren. Als er am 2. Februar abends aus solchen Phantasien erwachte, aus denen wir deutlich heraushörten,
daß sein Geist bei Eltern und Geschwistern in der Heimat verweilte, sprach er es klar aus, daß er sein Ende nahe
fühle. Kurz darauf, als wir alle gerade um ihn beschäftigt waren, um ihn nach Wunsch aufrecht zu setzen, sank er
plötzlich mit tiefem Atemstoß vornüber. Auf die sofort angewandten Mittel, die Herztätigkeit künstlich anzuregen,
erfolgte keine Reaktion mehr. Er war ohne Kampf hinübergegangen.
Zwei Tage darauf, nachmittags 5 Uhr, trugen unsere Matrosen den einfachen, von schwarzem Tuch völlig umhüllten,
mit der Reichsdienstflagge und einem frischen Kranz von Acaena geschmückten Sarg zur letzten Ruhestätte. An der
offenen Gruft widmete Dr. Werth dem Entschlafenen herzliche Gedenkworte.
War der Verewigte uns doch stets ein lieber und hilfreicher Freund und Gefährte gewesen. Wie sein mutiger Sinn im
Hochgebirge der Alpen - wo er auch bekanntlich ein ganzes Jahr hindurch der erste Meteorologe auf der Zugspitze
war - niemals davor gezagt hatte, den Schneestürmen überraschten und verirrten Wanderern beizustehen, so hat
er auch dasselbe hohe Pflichtgefühl in der Ausübung seines wissenschaftlichen Berufes bis zum Versagen der Kräfte
auf das trefflichste bewiesen. Bei alledem war ihm ein erfrischender Humor und ein selbst in schwierigen Lagen
unerschütterlicher Gleichmut eigen. Wie sein Name in der wissenschaftlichen Welt stets ehrenvoll genannt werden
wird, wo werden wir, seine Gefährten, ihm für alle Zeit ein treues Andenken bewahren!
Durch das Leiden und Hinscheiden unseres Kameraden war unser Kreis so schwer getroffen, daß wir in der ganzen
Folgezeit unter dem Eindruck dieses schmerzlichen Ereignisses standen. Bei Dr. Werth hatten diese Aufregungen
abermals einen gefährlichen Rückfall hervorgerufen. Anschwellungen der Glieder blieben zwar aus, dafür mehrten
sich die Anfälle von Herzkrampf von Tag zu Tag und konnten erst durch fortgesetztes Kühlen der mittelst Brunnenwasser
gefüllten Eisbeutel gemindert werden.
Wie bisher bei dieser Krankheit, so war auch jetzt wieder die leichteste Kost ein Hauptbedürfnis, welche uns zum
Teil der Proviant bot, zum Teil auch das frische Fleisch der Enten und Kaninchen gewährte. Die letzten wurden
entweder mit der Flinte oder durch meinen treuen Jagdhund in reichlicher Menge erbeutet.
Für Anfang März konnten wir die Ankunft des Abholungsdampfers erwarten; doch erst nach vier weiteren, in banger
Sorge verbrachten Wochen, in denen sich der Zustand Dr. Werths sehr verschlimmerte, hörten wir endlich am
Morgen des 30. März die Dampfpfeife eines Schiffes ertönen, und bald darauf lief der Dampfer "Staßfurt" der
Deutsch-australischen Gesellschaft in die Observatory-Bay ein und ging dicht vor der Station vor Anker. Damit war
eine schwere und trübe Zeit für uns zum Abschluß gelangt.
Die Übernahme der Station an Bord wurde schnell bewerkstelligt, und schon nach zwei Tagen konnten wir die Kerguelen
verlassen, um nach 14tägiger Fahrt den Hafen von Sydney anzulaufen. Dort fand Dr.&nbnsp;Werth, der in Anbetracht
seines geschwächten Zustandes die Überfahrt verhältnismäßig gut überstanden hatte, sofort im Sanatorium eines
bewährten Arztes Aufnahme, wo ihm, wie wir zuversichtlich hoffen dürfen, baldige Genesung in Aussicht steht.
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Satellitenbild Aufgenommen am 22.5.2001
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Um noch ein kurzes Wort über die wissenschaftlichen Erfolge der Kerguelen-Station zu sagen, so ist es
selbstverständlich, daß dieselben unter dem traurigen Gesundheitszustande in mancher Hinsicht leiden mußten.
Möglich wurde es, die durch das Programm der internationalen Kooperation vorgeschriebenen Terminbeobachtungen
der Meteorologie und des Erdmagnetismus in vollem Umfange durchzuführen, auch konnte die biologische Sammlung
auf alle Arten der dort vorkommenden Flora und Fauna erstreckt werden.
Unterbleiben mußten dagegen diejenigen Untersuchungen, welche auf Erforschung des Insellandes in weiterer
Umgebung der Station gerichtet werden sollten, sowie andere wichtige, das physikalische Programm ergänzenden
Arbeiten.
Die Kartographie hat vermittels der geodätischen und photographischen Aufnahmen in der Umgebung der Station
eine Vervollständigung erfahren.
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