Biographie Martha Luyken
Erinnerungen an Tante Martha Luyken
(von Liselotte Hetzer, geb. Luyken)
Tante Martha war die jüngste Schwester meines Großvaters Otto Luyken.
Sie hatte in Wesel bei ihren Eltern den Haushalt geführt und die Familie versorgt. Sie war aber immer etwas
kränklich. Das veranlasste eines Tages einen ihrer Brüder zu äußern: "Die Martha wird mal alt. Die wirft noch
mit unseren Knochen die Äppel von den Bäumen!"
Sie musste zuweilen in ein Sanatorium, wo sie aufgepäppelt wurde. Von da aus sind wohl ihre Besonderheiten
zu erklären. Sie war nun alt geworden, mittellos, wohnte in Wesel. Es drohte die Besatzung nach dem Kriege.
Nun wurde innerhalb der Familie erwogen, wie man ihr helfen könnte. Mein Vater,
Ewald Luyken, erklärte sich bereit, sie in unserem großen Hause aufzunehmen,
Tante Martha könnte zwei Zimmer beziehen. Einige ihrer Neffen steuerten mit einem monatlichen Obolus zu ihrem
Unterhalt bei. Unter etwas abenteuerlichen Bedingungen - die Besatzung waren schon im Anmarsch -
wurde nun Tante Martha geholt. Ihre Möbel kamen nach.
Durch ihre Leiden - sie war wegen des grünen Stars fast blind und fast taub - war sie etwas hilfsbedürftig.
Bei Luykens hieß es, sie werden im Alter "mall" oder schwerhörig. Trotz ihrer Leiden betätigte sich Tante Martha
noch nach Kräften. So brachte sie selbst ihr Waschwasser morgens weg und trocknete das Geschirr ab. Gewaltige Bücher
standen an ihrer Wand, das waren Teile aus der Bibel in Brailleschrift, die konnte sie lesen. Es hatte ihr
jemand geraten, sie noch zu lernen, solange noch etwas Augenlicht vorhanden war.
Tante Martha lebte sich schnell ein. Sie äußerte sich begeistert über die "balsamische Luft", bestätigte oft,
wie wohl sie sich fühlte und interessierte sich für uns heranwachsenden Großneffen und -nichten. Meine
Mutter kochte
gut, aber eines Tages bat Tante Martha, zusätzlich doch selbst kochen zu dürfen. Meine tolerante Mutter erlaubte
das sofort, so erschienen auf unserem Kochherd lauter kleine Töpfe und Pfannen. Das gab es Kakao mit Speck,
Ölbröckchen (das war Brot in Öl gebraten)... das alles aß sie mit Heißhunger. Natürlich ergab das bald eine
Gewichtszunahme. Eine Schneiderin musste immer mal neue Kleider nähen. Tante Martha ging zeitgemäß ganz in
schwarz. Sie hielt sich gut. Fragte vor jedem Spaziergang: "bin ich propper, habe ich Knisten (Flecke)?".
Dann wanderte sie mit Klappstuhl, Brailleschriftbuch auf die Allee, wo sie mit Behagen in der Sonne saß und las.
Den Regenschirm brauchte sie zum Entlangtasten an der Gehsteigrinne.
Eines Tages hatte sie auf der Allee die Orientierung verloren, hätte ihr ein großer, sehr höflicher Mann
zurechtgeholfen. Das kann nur der Onkel des Fürsten, Prinz Volkmar sein. Wie haben wir Tante Martha geneckt mit
ihrem prinzlichen Verehrer. Sie machte jeden Spaß mit und lachte herzlich.
Wir Geschwister schenkten ihr zu ihrem Ehrentag dann mehrere Stunden, d.h. sie konnte sich wünschen, ob wir
vorlasen, schreiben o.ä für sie verrichten sollten. Eine andere Gewohnheit liebten wir Heranwachsenden sehr,
Tante Martha konnte gekonnt rülpsen. Sie schluckte dann mehrfach Luft hinunter, die dann in Stößen wieder nach oben
kam. Ich habe mal in einer Viertelstunde 123 mal gezählt. Das tat sie aber nur im stillen Kämmerlein, glaubte sich
unbeobachtet. Wir schlichen uns aber ein, sie konnte uns nur als Silhouette gegen das Fenster sehen. Sie hörte uns
auch nicht, wenn wir leise waren. Hatten wir Glück, kamen auch noch Selbstgespräche.
Ich habe nachträglich die größte Hochachtung vor ihr, wie sie ihre Leiden verkraftet hat. Sie hat nie über ihre
Schwerhörigkeit geklagt, die ihr mehr zu schaffen machte, als ihre Blindheit. Auch mit uns war sie immer offen und
interessiert. Mit der weiteren Familie lebte sie durch eine große Korrespondenz. Als sie nach ihrer Zuckerkrankheit
einen schnellen und gnädigen Tod fand, eilten einige Neffen herbei. Ich glaube mich an
Daniel Thilo, Dr. Rudolf Luyken und
Otto Luyken zu erinnern. Sie erzählten vom Großelternhaus, es war eine Stimmung,
als wäre sie dabei. Es wurde erwähnt, dass unser beschwingtes Beisammensein ganz in ihrem Sinne wäre. Sie ruht auf
dem stillen Waldfriedhof in Stolberg.
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