Familienverband Luyken



Liselotte Luyken (1908-2010)
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Ludwigshafen, 19.12.2013


Martha Charlotte-Elisabeth "Liselotte" Luyken, Generation 11, Ref.Nr. 11-116 (BK0952) Ast WB-O

Geboren: 22.3.1908 in Stolberg/Harz
Gestorben: 3.11.2010 in Weimar (Alter: 102 Jahre)

Beruf: Diplom-Turn- und Sportlehrerin

Vater: Ewald Luyken
Mutter: Elisabeth Niemöller

1. Gatte: Johannes Schmidt
Heiratete: 30.10.1935 in Stolberg
Kinder:
Ruth Schmidt (*1936)

2. Gatte: Paul Hetzer
Heiratete (standesamtlich): 17.4.1948 in Stolberg
Heiratete (kirchlich): 21.4.1948 in Stolberg
Kinder:
Doris-Annette Hetzer (*1949)
Wolf-Heinrich Hetzer (*1951)





Biographie Liselotte Luyken



Meine Kindheit in Stolberg

Im Städtchen Stolberg im Harz bin ich 1908 geboren. Von der nächsten Bahnstation Rottleberode liegt es 6.3 km entfernt, hatte 2.000 Einwohner. Der damalige Graf zu Stolberg-Stolberg erlaubte keine Bahnstation, die Bahn "störe den Frieden des Waldes". Sie wurde später gebaut und 1923 eingeweiht. Wir Schulkinder bewunderten beim Bau den Bagger, der sich langsam ein Loch in den Berg fraß. Der Abraum wurde in der Nähe aufgeschüttet und glich den Höhenunterschied für die Bahn aus.

1525 besuchte einst Luther unser Städtchen, wohnte bei seinem Freund und Anhänger Reizenstein, dem unser Haus gehörte. Luther "war 1525 auf dem Berg spazieret (der heute Lutherbuche heißt) und hatte die Stadt gar füglich mit einem Vogel verglichen. Rittergasse und Neustadt stellten die Flügel dar, die Niedergasse den Schwanz, die Kirche das Herz und das Schloß den Kopf".

Der Fürst zu Stolberg-Stolberg beschäftigte eine Anzahl von Akademikern. Neben Kammerdirektor und Forsträten, die am Schloßberg wohnten, gab es 2 Pastoren, 1 Amtsgerichtsrat mit Referendaren, 1 Apotheker, 2 Ärzte, 1 Zahnarzt, 1 Rechtsanwalt... es fand wöchentlich ein Akademikerstammtisch statt, der von Vater und später auch von Bruder Hans gern besucht wurde.

Am Hof herrschte eine strenge Etikette, der Zeit gemäß. Der Fürst wurde mit "Durchlaucht" und in der 3. Person angeredet. Mit dem Titel der Männer schmückten sich auch die Damen: "Frau Kammerdirektor" lädt ein. Manche waren recht kleinlich und hatten etwas "übelgenommen" - die durfte Mutter nicht zusammen einladen, man hatte sich vorher zu erkundigen.

Wie kam man in die "Gesellschaft"? Man machte einen Antrittsbesuch mit Visitenkarte(n), erwartete Gegenbesuch - beides von etwa 10 Minuten Länge - und wurde dann eingeladen. Wir Kinder hatten zu verschwinden, rochen aber gern an den Visitenkarten, ob sie "vornehm" dufteten. Alle Neuzugezogenen hatten sich diesen Zwängen einzuordnen. Für uns Kinder begann das "gesellschaftliche Leben" mit der Konfirmation.

So verkehrte man untereinander, die Länge des Zusammenseins und den Aufbruch bestimmte die älteste Dame. Sie hatte den Sofaplatz inne, wurde als Erste bedient, mußte aber warten, bis alle Teller gefüllt waren. "Von links reichen, von rechts wegnehmen" wurde ich von Mutter bei der Bedienung angewiesen. Beim familiären Essen hatte der Hausherr das Sagen: "Wer tranchiert, der regiert". Er schnitt und verteilte den Braten. Messerschärfer lagen dazu bereit. Waren die Teller leer, wurde zum zweiten mal ausgeteilt. Bis zum Ende der Mahlzeit blieb man sitzen, nach dem Dankgebet gab's den Aufbruch.

Der Luftkurort Stolberg hielt sich auch eine Kurkapelle, die zwei mal wöchentlich unter der Anleitung des Dirigenten Dähne auf dem Markt spielte. Dieser führte eine Musikschule: 3 Jahre lernen, danach 1 Jahr mit zu Veranstaltungen, dann war man "ausgelernt". Diese Schule hatte einen guten Ruf, spielte auch bei Tanzveranstaltungen, brachte Ständchen... Herr Dähne war später dem Alkohol etwas verfallen, kein Wunder bei den festlichen Freibieren! Als ich bei ihm anfragte, ob er mir wohl Cello-Unterricht erteilen würde, meinte er: "wenn ich trinke, ist meine Hand ruhig, aber wenn ich nicht trinke, zittert sie". Die Stunde dauerte dann von 4 bis 7, weil man sich doch so viel erzählen mußte! Herr Dähne förderte mich aber schnell, so daß ich mit Mutter und Gretel Haydn-Trios und später im Streichquartett spielen konnte. Das Instrument gehörte dem Fürsten, seine Schwester Imagina hatte das Ausleihen vermittelt. Später hatte ich ein eigenes Cello.

Was ist in Stolberg am schönsten? Aus dem Fenster gucken, mit Kissen für die Ellbogen! Und dazu lästern. Bei einigen Anlässen durften wir uns nicht zeigen, dann wackelte zuweilen die Gardine, hinter der wir uns verbargen. Besondere Straßengeräusche lockten uns. Der Fürst hatte 2 herrlich schwarze Rappen, deren Gleichschritt vor der Kutsche der Stolz des Kutschers war. Man hörte sie schon von weitem in der Rittergasse, ehe sie kamen. Fand aber eine Beerdigung statt, deren Nähe wir am gleichmäßigen Aufsetzen der Stöcke früh genug erkannten, ging's hinter die Gardine. Die Verstorbenen wurden vom Wohnhaus aus beerdigt, der Sarg wurde dann von 6-8 Männern getragen, die in Gehröcken hantierten. Die Friedhofskapelle, einst von Ludwig Richter gezeichnet, war nicht in Ordnung.

Natürlich gab's auch festliche Anlässe, z.B. das Schützenfest. 2 Tage feierten die Bogenschützen, die mit Pfeil und Bogen nach einem Adler schossen. Wer die letzten Reste herunterholte, war Schützenkönig und wurde nach einem Umtrunk nach Hause gebracht, mit Musik! Danach feierten die Bürger der Schützengilde 3 Tage lang, die mit Gewehren nach einem Vogel schossen. Als Auszeichnung gab's eine riesige silberne Kette, die ein Jahr lang stolz getragen wurde.

Vater war inaktives Mitglied, so durften wir am bürgerlichen Schützenball teilnehmen, tanzten mit Referendaren oder brachten Freunde mit. Die Bogenschützen feierten im Freien am Schützenhaus. Es gab Buden, ein Karussell und eine Tanzfläche, früher aus gestreuten Tannennadeln, später aus Brettern bestehend. Auf Bierfässer wurden Bretter gelegt, damit man auch mal sitzen konnte. Sehr beliebt war ein Kreistanz für je 8 Personen, den wir begeistert mittanzten.

Auch ein Kriegerverein gab es in Stolberg. Da wurde das Schießen nach Ringen ausgeführt. Vater schnitt einmal als Bester ab, wurde Kriegerkönig mit Kette und wir waren Königskinder!!

Am 10. November wurde Martini zu Luthers Geburtstag gefeiert. Mit Beginn der Dämmerung eilten aus allen Straßen die Kinder mit Lampions zum Markt, wo alle 4 Verse des "Ein feste Burg ist unser Gott" gesungen wurde und der Pastor eine entsprechende Rede hielt. Danach ging's heim zu Gänsebraten, Karpfen, Karnickel - je nach Vermögen. Die Kerzen wurden angezündet, auf denen Abziehbilder von Luther oder Katharina von Bora waren.

Weihnachten wurde in Stolberg am 1. Feiertag früh gefeiert, die Christmette mit Lampions in der Kirche. Unsere Familie bestand aber auf der Christvesper zu Heiligabend. Wir durften nicht eher feiern, bis wir bei unseren bekannten Altchen gesungen und Geschenke gebracht hatten: den 3 Fischerchen, Geheimrat von Brands... . Bruder Hans wirkte mit strengen Ohren mit und machte mir auch einmal Vorwürfe, daß ich den Alt verkorkst und damit die Familie blamiert hätte. Also wurde noch sorgfältiger 3-stimmig geübt. Ich kann heute noch den Alt auswendig.

Vaters Beruf als Arzt ging immer vor, da konnten die Familienfeiern manchmal erheblich gekürzt werden. Waren wir aber beisammen, wurde 4-stimmig gesungen. Vater war unermüdlich, während wir nach den Appeltaten oder Nüssen Ausschau hielten. Am 2. Feiertag wurde der Fürst eingeladen, der einfach mitsingen mußte. Seine Gegeneinladung bestand aus einem großen Fest, das abwechselnd alle 2 Jahre mit warmem Essen oder kaltem Büfett begangen wurde. Es wurden alle Beamten und Halbbeamten (Vater war Hofarzt) eingeladen. Als ich als junge 20-jährige Lehrerin meinen demokratischen Direktor in Nordhausen informierte, daß ich eingeladen sei und frei haben mußte, ging er sofort auf meinen Antrag ein und erklärte stolz: "Wir haben eine Lehrerin, die bei Hofe verkehrt". Ich hatte eine andere Reaktion von einem Demokraten erwartet! Aber ich mußte erzählen! So rückte ich danach mit der bunten Speisekarte an, auf der in voller Größe das fürstliche Wappen prangte.

Zu jeder Einladung wurden die Lakaien in Uniformen mit weißen Handschuhen gesteckt, so machten sie ihrem Namen als "Fürstlich-Stolberger-Tafeldecker" alle Ehre. Diese Titel verbreiteten sich auch in der Stadt. "Fürstlich-Stolbergische Hofbäckerei" war unter einer riesig großen goldenen Brezel zu lesen. Ein Großteil der Bevölkerung, Waldarbeiter, Steineklopfer, Chausseewärter, hing vom Fürsten ab.

Da ich gerade bei den Berufen bin, will ich die Stolberger Handwerker nicht vergessen. Für Hausbesitzer gab's immer Reparaturen. Unser riesiges Dach hatte undichte Stellen, Dachdecker Müller mußte kommen. Er wohnte in der Neustadt am Berge, neben einem Haus, aus dessen Dachrinne man an einer Seite trinken konnte. War alles in Ordnung gebracht, ergab sich bald eine neue Reparatur. Vater kam dahinter, daß der Dachdecker immer neue "Reparaturen" vorbereitete, indem er das Dach an anderer Stelle schädigte. (Arbeitsbeschaffungsmaßnahme!) Das verdroß Vater, er schloß sich der Schieferdeckerfirma an, die die Kirche reparierte und die ihm durch preisgünstige Neudeckung viele spätere Reparaturen ersparte.

Mit Hilfe des Bauleiters Bilkenroth, der nach dem Bau der Bahn in Stolberg geblieben war, ließ nun Vater alles Baugeschehen und die Rechnungen über diesen Bauleiter gehen und wurde ehrlich bedient. Vater wagte nun, eine Garage ins Haus zu bauen. Dazu mußte der Keller tiefer gelegt werden. Da ging es aber ins Grundwasser. Der Keller wurde so gut von einer Straßburger Firma abgedichtet, daß sich kein Wasser mehr zeigte. Der Pferdefuß zeigte sich erst nach einer ungewöhnlich großen Überschwemmung durch die nahe Wilde, als das Wasser über die Abdeckung lief. Die Feuerwehr half mit Abpumpen.

Feueralarm in Stolberg: meistens nachts. Man erwachte durch ein schauriges Tuten aus einem Feuerhorn, das durch die Straßen hallte. Das war das Zeichen für die freiwillige Feuerwehr, die mit den nötigen Schläuchen im handgezogenen Feuerwehrwagen anrückte. Wir Kinder hatten uns notdürftig gekleidet und sahen frierend aus dem nötigen Abstand den nächtlichen Flammen zu. Auf dem Heimweg ergingen wir uns in Gedanken über das Schicksal der Geschädigten. Die Brandursache war zuweilen einmalig: bei starkem Frost (-30 Grad) wurde kräftig geheizt, der tragende Balken kam in Brand, der durch den Schornstein ging!

Das Heizen:
Vater bekam 35 m3 Deputatholz als Teil seines Hofarztgehaltes. Dieses Holz lag aufgeschichtet im Wald, je nach Einschlag von verschiedener Länge, aber 1 m hoch. Wir mußten nun das Holz im Walde suchen und den Holzschein nach Auffindung des Holzes zum Fuhrunternehmer bringen und ihm den Ort angeben. Im Leiterwagen wurde dann von ihm das Holz geholt und vor dem Hause abgeworfen. Nun folgte Mingramms Maschine. Ein laufendes Sägeblatt war auf einem motorisierten Vehikel montiert und schnitt das Holz in 4 oder 5 gleiche Teile. Ganz früher wurden diese zerkleinerten Teile gleich gehackt. Da sauste von oben ein Spaltgerät auf den Holzklotz, so daß die Teile auseinander flogen. Später wurde in Handarbeit mit dem Beil gehackt. Ein Problem dabei waren die Äste im Holz, denen man mit umgekehrten Beil - das stumpfe Ende nach unten - zuleibe ging. Für diese Arbeit waren Männer tätig. An uns Frauen lag es nun, das gehackte Holz in den Holzstall zu bringen und dort in kleinen Abständen - wegen Trocknens - zu bansen. Das war nicht einfach, zuweilen fiel ein ganzes Stück Wand herunter, manchmal auf die Füße - mit Nägeln! Erneutes Bansen! Abends war alles fertig.

Mutter hatte im Kochbuch stehen: "Kuchen für den Holztag". Das war ein großes Blech mit Streuselkuchen für alle Helfer. Das Holz aus dem Holzstall wurde zum Heizen in großen viereckigen Kiepen in die Zimmer gebracht: 2 Wohnzimmer, Küche, Arzträume - jeden Morgen 6 Körbe voll.

Vaters Spezialität war feinst gehacktes Holz, das er hinter dem eisernen Kanonenofen an der Wand trocknete. Feines und feinstes, bleistiftdünnes Holz, das war beim Feueranmachen manchmal meine Rettung! Nun ging das Heizen los: mit Papier und trockenen Tannenzapfen wurde das 1. Feuer entfacht und dann kräftig Holz nachgelegt. War es gut durchgebrannt, wurde ein Teil der Glut mit einer kleinen Schippe herausgenommen und in den nächsten eisernen Ofen geschoben. Ich erinnere mich noch gut, wie Mutter wie der feurige Elias durch die Räume sauste mit einer gehörigen Rauchsäule. Es mußte ständig nachgelegt werden, da reichte eine Kiepe manchmal nicht! Die Tannenzapfen hatten wir in einer gemeinsamen Familienaktion im Walde gesammelt, sie wurden nach Bedarf im Küchenbackofen vorgetrocknet. Zum Anbrennen genügte dann ein Streichholz!

Die Holzkisten wurden von Mutter, unserem Hausmädchen und mir (ich lernte mit 15 Jahren Haushalt) die steilen Treppen heraufgestemmt, sie waren schwer und trotz 2 Griffen unhandlich.

Der Wald gab aber auch anderes her. Es ging immer in Familienaktion in die Himbeeren (Mutter hatte ein köstliches Rezept für rohe Waldhimbeeren), aber auch in die Pilze und die Bucheckern. Letzteres nur im Bucheckernjahr, das sehr unbeliebt war. Manchmal war der Waldboden schon angefroren und es gab steife, kalte Hände. Die Bucheckern ließ man pressen, das gab Öl.

Wenn wir ein Schwein hatten, mußten wir auch Laub aus dem Wald holen. Das gab Spaß ! Oben auf der Lutherbuche wurde ein Sack mit Laub gefüllt, zugebunden und quer auf die Wiese gelegt. Dann legte man sich darüber und kullerte mit dem Sack die Wiese herunter. Unten beim Müller stand schon der Handwagen bereit, damit wir den Sack nach Hause bringen konnten. War es draußen sehr kalt, holten wir das Schweinchen aus dem Stall und packten es in eine große Kiste neben den Küchenherd. Früh wurde dann aufgewischt.

Unser Familienleben:
Vater war der Vorstand und bestimmte alle Vorhaben im Einverständnis mit Mutter. Er versorgte Stolberg und Umgebung ärztlich. Das setzte Landtouren voraus, die mit Auto, Schlitten, Pferdefuhrwerk, zu Fuß... bewältigt wurden. Vater hatte das 1. Auto in Stolberg, einen Pikkolo, 2-sitzig, gelb mit roten Polstern und gebaut wie eine Kutsche, vorn niedrig. Die Gangschaltung war außen, vor einem Berg mußte eine Pumpe betätigt werden - Öl oder Benzin? Ich weiß es nicht. Die Hupe bestand aus einem Gummiball und einem Schallgerät. Die Lampen brannten mit Petroleum. Das Auto war offen, bei Regen mußte schleunigst das Verdeck hochgezogen werden. Auf den Straßen verkehrten damals viele Pferdewagen. Beim Nahen und Hupen des laut ratternden Autos sprangen die Fuhrleute aus der Schoßkelle, um die scheuenden Pferde festzuhalten. Die Pferde verloren auch Hufnägel, die sich gern in die Autoreifen bohrten. Das gab einen "Platten", der gleich auf der Straße geflickt werden mußte. Die Geschwindigkeit war gering, so durften wir als Kinder auch mal lenken.

Bei Bruder Hans' Fahrkünsten fühlte sich Vater sicher und schlief zuweilen ein. Das Auto gewann bergab an Geschwindigkeit, so daß Hans einmal schreckensbleich ausrief: "Vater, da war ein Reh, ich habe Angst, daß es mir in die Reifen beißt".

Das nächste Auto war schon ein Viersitzer, noch mit Außengangschaltung und mit Karbidbeleuchtung. Das Anzünden der Beleuchtung geschah nach Wasserzuschaltung. War diese zu hoch, ersoff das Karbid und wir fuhren unbeleuchtet durch die nächtlichen Wälder, orientierten uns nach oben am Himmel zwischen den Bäumen.

Vaters Beruf verlangte eine gute Zeiteinteilung, Mittagessen um 12, Abendbrot um 7 Uhr. Wir durften nicht zu spät kommen. Mutter war für uns Kinder immer da. Nach dem Essen wurden Schulaufgaben gemacht, erst dann durften wir draußen spielen.

Wir besuchten die "Höhere Privatschule", die Schulgeld verlangte und bis zur Obertertia führte. Danach gab's für uns Internate: Hans in Ilfeld, ich mit Hilde in Droyßig, Gretel in Gnadau. Wir Älteren hatten schlechte Lehrer, es wurde mechanisch gelernt. Als die Inflation kam, war kein Geld mehr für die Lehrergehälter da. Vater war mit im Kuratorium der Schule. Er schrieb Aufrufe an bewußte Bürger, sie möchten sich zur Unterzeichnung einer regelmäßigen Spende bereit erklären. Der Fürst verpflichtete sich zu 1 m³ Holz monatlich, davon wurden alle Gehälter bezahlt.

Überhaupt hatte man es sehr schnell mit Sachspenden zu tun. Vaters Kollege Dr. Sundheim ließ die Arztrechnungen mit Goldmark liquidieren und verlangte dafür Sachwerte wie Butter, Eier, Fleisch, Brot, Milch.... damit war unsere Verpflegung auf Marken gut ergänzt. Zusätzlich wurde noch gehamstert, Hans und ich auf Rädern, wir kamen mit Brot, Milch, Eiern wieder zurück.

Der Matheunterricht war besonders anfechtbar. Der Lehrer konnte nicht erklären. Wenn Vater abends wiederkam, löste er die Aufgaben, erklärte sie uns und wir zogen mit den Ergebnissen zur Schule. Hier warteten schon die Jungens, die wir abschreiben ließen. Sie verstanden es aber nicht. Unsere Deutschlehrerin war tüchtig und streng, es regnete Strafarbeiten bei Nichtlernen. Jedes Wort 10 x abschreiben, da lernte man lieber.

Unsere Erziehung beruhte auf christlichen Grundlagen. Es gab auch einen Klaps, auch Prügel, je nach Vergehen. "Der nicht geschundene Mensch kann nicht erzogen werden". Die Eltern standen hinter ihren Forderungen, waren Vorbild.

Wir Kinder zankten uns viel. Abends im Bett erzählte uns Hilde noch Märchen oder Selbstausgedachtes, fragte zuweilen: "Schlaft ihr schon?". Hans hatte bald ein eigenes Schlafzimmer, wir 3 Mädels schliefen zusammen eiskalt im Winter! Da gab's Wärmflaschen ins Bett, die morgens noch lauwarmes Wasser lieferten. Wir hatten Waschschalen mit Waschkummen. Es wurde auch gespielt: Gänsespiel, Schnipp-Schnapp, Glocke und Hammer, Ratespiele. Man mußte auch verlieren lernen, und der Gewinner durfte nicht hämisch werden, dann gab's tätliche Auseinandersetzungen. Draußen waren Versteckspiele, Barlauf, Räuber und Schandeckel, Flitzebogen und Reifenschlagen beliebt. Im Winter rodeln und schurren.

Unsere religiöse Erziehung bestand aus 1 Stunde Religion täglich in der Schule, mit Gebet beginnend. Wir mußten viel Gesangsbuchverse lernen. Zu Hause war beim Frühstück bei Vater Belehrung. So kann ich noch heute einige Psalmen und Paulus! Wenig Begeisterung fanden Vaters Vorlesungen Sonntag Nachmittag über Johann Peter Lange. Es war viel zu hoch für uns, also langweilig. Ich habe diesen Lange gehaßt, obwohl ich auch heute noch nicht weiß, was in seinen Schriften steht. Für meine Nachfahren: Vorsicht bei religiösen Belehrungen, die unverständlich und zu lang sind! Mutter, die zu uns hielt, konnte nur die Länge abblocken, wir mußten zuhören (taten wir aber nicht).

Unsere Kleidung:
Es wurde vererbt, geändert, gefärbt, aus Bettstreifen Strümpfe gestrickt, die schwarz gefärbt wurden. Das gab bei nassen Füßen schwarze! Die Großeltern ließen uns zu Weihnachten in Enger Holzschuhe anfertigen. Die Maße und der Fußabdruck wurden abgemessen, sie paßten immer. Wir hatten immer warme Füße und im Winter konnte man Schnee darunter sammeln, daß man wie auf Stelzen ging. Im Sommer durften wir barfuß laufen und prahlten gegenseitig mit unserer Hornhaut.

Wir verlebten die Nachkriegszeit mit allen Versorgungsschwierigkeiten im Grunde glücklich. Unsere Eltern erzogen uns mit Liebe und Strenge. Wir mußten unsere Pflichten erfüllen, spielten und sangen aber auch viel miteinander. Es wurde Klavier gespielt, auch Klavier und Harmonium. Die große Musikalität von Hans zeigte sich beim Phantasieren über Volkslieder mit Großvater Niemöller. Großvater gab Ton und Tonart an, dann spielten beide los. Das konnten die 8 Kinder der Großeltern nicht! Die Umgebung erarbeiteten wir uns per Rad. Mit einer großen Büchse Kartoffelsalat fuhren wir los zum Hexentanzplatz, Rübeland, Brocken. Zum Film "Die Nibelungen" fuhren wir über 30 km nach Sangerhausen. Später wurde das Kino unter Demuth's Regie in Stolberg eröffnet. Man saß auf Gartenstühlen, der bessere Platz war ein Gartenstuhl auf der Bühne. Nach jeder Filmrolle wurde umgespult. Dann rief Frau Demuth mit schriller Stimme: "Kleine Pause". So dauerte ein Film etwa 4 Stunden. Wir durften nur in gute Filme, die "seichten" mit Torten im Gesicht u.ä. waren tabu. Später abonnierten wir freitags im Eberhard-Saal mit Klappstühlen. Wenn der Fürst kam, ging's los.

Es wäre noch über Stolberger Originale zu berichten. Da wäre Karlinchen zu erwähnen, ein kleines schrumpliges Frauchen, das durch die Straßen schlurfte. Irgendwelche abgelegten Sachen schlotterten um ihre Gestalt, unter dem faltigen Gesicht war ein gewaltiger Kropf. Unsere gelegentliche Frage an sie war: "Karlinchen, woher hast Du Deine Schuhe?". Es kam die stereotypische Antwort: "Us'm Bache". Mehr fragten wir nicht, andere Kinder waren dreister, dann wurde sie böse, drohte mit dem Stock und schimpfte.

Ein völlig anderes Original war der rote Müller. Die Farbe bezog sich auf Haar und Gesinnung. Ein roter Rauschebart und lange Locken zierten sein Äußeres. Er ließ sich zu unterhaltenden Gesprächen herbei, seine Anekdoten nannte er "Schnerzchen". Im einsamen Wildetal hatte er ein Häuschen, mit Zaun drumrum. Als es zu den unruhigen Zeiten ans Durchsuchen der Wohnungen einiger politisch Verdächtigen ging, fand man bei ihm, eingemauert in den Schornstein, Pläne vom Landtag. Ich meine, auch ein Gewehr. Müller meisterte die Armbrust, die beim Wildern keinen Knall abgibt. Er hieß im Volksmund "Wilddieb Müller".

Er war verheiratet - jedes Jahr ein Kind. In der knappen Zeit aß der Vater diesen Kindern alles weg, die Mutter kam zum Arzt, weil die Kinder alle Trommelbäuche hatten. Befragt nach ihrer Nahrung, beichtete die Mutter: "Nur Kartoffeln".

Da der rote Müller der 1. Vertreter der Kommunisten war, lernten wir die ersten Vertreter als solche kennen, die nichts für die Familie übrig haben. Die Meinung des Fürsten: "Zuerst schießt er mich tot, dann pflanzt er Blumen auf mein Grab". Die Ehe ging auseinander. 1945 hatte er plötzlich eine neue Frau, das war eine Mutter mit 3 oder 4 Kindern, die bis dahin als stramme Nazi-Vertreterin tätig war und nun um ihr Leben zitterte.

Nach der Beschießung von Stolberg im April 1945, in der wir nachts erstmalig mit allen Hausbewohnern in den Keller geflüchtet waren, machte sich der rote Müller mit einem weißen Bettlaken und 2 Begleitern auf, um den Amerikanern, die in Rottleberode waren, Stolbergs Kapitulation anzuzeigen. So hat er Stolberg gerettet. Anschließend hingen wir Bewohner alle ein Bettlaken aus dem Haus, so wurden die Häuser verschont.

Meine Schulkameraden waren nur Jungen, mit denen ich auch am liebsten spielte. Die Mädchen hatten wenig Ideen und nahmen übel. Ich war mit Egon Cappis und Häschen Ehrhardt in einer Klasse. Egon war einfallsreich, Häschen forschte. Er baute sich z.B. aus einer Zigarrenkiste eine Camera. Egon ärgerte gern Leute. Da gab es ein Textilgeschäft Simon in der Niedergasse. Der Besitzer war ganz rührig, während seine Frau bei längerer Auswahl durch die Kunden erklärte: "Ich bin eine Professorentochter"... und davonrauschte. Dieses Geschäft gefiel Egon. Er ging scheinheilig rein, um "Knöpfe zu kaufen", ließ sich eine riesige Auswahl zeigen und entschwand mit den Worten "es ist der richtige nicht dabei". Ein anderes Mal brachte er mit einem Brennglas das Auslagenpapier im Schaufenster zum Brennen, ging nach geraumer Zeit hinein mit den Worten: "Ihr Laden brennt".

Zu Nikolaus verkleideten sich alle Kinder, gingen mit leeren Säckchen in die Häuser, sangen was und bekamen Äpfel, Plätzchen... . So kreuzte auch Egon, als alte Frau verkleidet, mit Häschen als Mann auf. In seiner Maske hatte er sich in deren Nase ein Licht gelegt und konnte die Nase rot leuchten lassen. Die Batterie hatte er in seiner Tasche. Wir erkannten dieses Pärchen nicht, aber unsere Treppe...! Sie hatte kurze steile Stufen, mit Linoleum belegt und mit einer Metallkante abgesetzt. Wahrscheinlich kam es wegen des Schnees an den Schuhen und mangelnder Sicht wegen der Masken zum Sturz. Aus dem Donnergepolter hörten wir eine Stimme: "Häschen, meine Batterie". Da waren sie erkannt.

Die Revolution 1919 erlebten wir kleinstadtgemäß. Frau Bose, eine große hagere Frau mit Hakennase und riesigen Füßen, zog mit einer kleinen Gruppe auf den Markt und rief: "Wir wollen keinen Kaiser, wir woll'n 'ne Monarchie". Damit zogen sie zum Schloß. Der Torwart fragte nach ihrem Begehr. "Wir wollen rape (rauben)". "Nur über meine Leiche", rief der Torwart entgegen. "Das wollen wir nicht" entgegnete die Truppe und zog ab.

Nun ging's ans Parteien gründen. Vater sondierte: die Deutschnationalen. Hans und ich bekamen von Vater ein Schreiben mit seiner Aufforderung, dieser Partei beizutreten. Wir waren 13 und 11 Jahre alt, kannten aber die Einstellung der Stolberger. Vater riet, wir ergänzten oder rieten ab, so gründeten wir die Deutschnationale Volkspartei Stolbergs. Der Kaufmann Max Simon schrieb sich gleich in 2 Parteien ein, was nicht unbemerkt blieb. Unsere Familie war konservativ und kaisertreu. Mutter hätte so gern noch einen Kaiser gehabt, aber wir Kinder widersprachen: er hat uns verlassen. (nach Holland) Vater war im "Stahlhelm", Mutter im "Louisenbund". Die Gegensätze mit anderen Parteien wirkten sich kaum aus. Man kann doch einen Arzt nicht angreifen, den man vielleicht mal nötig hat!

Vater war als Arzt gesucht und beliebt, er nahm Anteil am Schicksal seiner Patienten. Wenn sich eine Kolik meldete, ließ er auch sein Essen stehen. Auf meine Frage, ob er denn nicht den Teller leer essen wollte, kam der Vorwurf: "Er hat doch Schmerzen".

Als ich nach Merseburg heiratete, zeigte mir der Apotheker voller Stolz seine Handnarbe. Er hatte sich an einem Glas geschnitten und dabei die Sehne durchtrennt. Die Sehnennaht, von Vater ausgeführt, war gut verheilt und der Finger gebrauchsfähig. Das Einrichten von Knochenbrüchen geschah mit Hilfe der Familie. Vater klingelte mit der Drahtklingel, einer mußte den Rausch machen, einer Arm oder Bein halten, Vater bewegte etwas - schon gab's den Knacks, die Knochen waren aneinander, ich konnte dann röntgen.

2 Originale fallen mir noch ein: die beiden Rinkeschwestern. Sie wohnten in der Niedergasse und vertrieben Fische. Freitags eilten sie mit einer großen Kiepe herbei und riefen von unten: "Frau Doktor, brauchense was von Fisch?". Mutter bat sie in die Küche, wo alsobald der Inhalt der Körbe bekannt gemacht wurde: Schellfisch. Die heilen Fische lagen auf Eis, Mutter suchte aus, wog sie auf der Wipp-wapp-Waage mit Gewichten ab und wurde handelseinig.

Woher hatten die Rinkes das Eis? Gleich um die Ecke, an der Post vorbei, durch den Seigertorturm, war "Brauerei Rustler". An eine "Brauerei" erinnere ich mich nicht, aber es wurde Bier in Fässern und Flaschen, wie auch andere Getränke vertrieben.

In einem riesigen Keller befand sich das Eis, das vom Mastenteich (später Freibad) im Winter genommen wurde. Es wurden Teile der Oberfläche abgeschnitten und auf Wagen verladen, dann in den Rustlerschen Keller gebracht. Die eisfreien Flächen wurden danach abgesichert, damit wir Kinder gefahrlos Schlittschuh laufen konnten. Wenn wir Eis brauchten, holten wir das in Eimern von Rustlers.

Mutter hatte eine Eismaschine, die aus einem Behälter mit dem Speiseeiscreme bestand, der in einem größeren hölzernen Eimer war. Der Abstand zwischen den Behältern wurde mit Eisstücken und Salz gefüllt, dann wurde die äußere Kurbel gedreht, die Eiscreme verwandelte sich in etwa 1 Stunde zu Speiseeis.

Unser Schlittschuhlauf auf dem Mastenteich war technisch sehr bescheiden, er litt auch an der mangelnden Befestigung an den Schuhen, egal mußte der "Schlittschuhkreckel" befestigt werden. Aber Spaß gab's doch. Eine der beiden Schwestern hatte einen Sprachfehler und bildete die Wörter irgendwie in der Nase. Das reizte uns natürlich zum Nachmachen, nur: Mutter durfte es nicht hören!

Nicht zu vergessen: die Weihnachtszeit. Am 1. Advent wurde der Pantoffel aufgestellt. In der Frühe saßen die Schwestern schon knabbernd im Bett. Ich schlief immer zu fest, holte mir dann aber auch den Hausschuh, bis uns die Krümel aus dem Bett trieben. Der Frühstückstisch war verziert: die Kartoffeln wurden quer durchgeschnitten, Tannenzweige hineingesteckt und mit rotem Seidenpapier von unten zugebunden. Eine weiße und eine rote Rose, aus einem Streifen Seidenpapier geschnitten und gerollt, zierten die Zweige, manchmal auch eine Kirsche. Es wurde viel gesungen, Vater war unermüdlich. Als wir alle in Internaten waren und Weihnachten in die Ferien nach Hause kamen, führten wir zu Silvester viel Ausgedachtes vor, wobei Hans führend war. Das gab viel Spaß. Unsere Geschenke bestanden aus Selbstgemachtem, aber eines Jahres weihte mich Hans in ein großes Geheimnis ein: er wollte Licht legen im Schlafzimmer ! Und das tat er. Er legte vom Zähler aus Blumendraht bis in unser Schlafzimmer, erfand einen Lichtschalter dazu, aber beim Bedienen gab's immer einen kleinen Schlag.

Gretel schlief noch im Gitterbett an diesem Schalter, den sie dann abends ausdrehen mußte. Nach dem kleinen Schlag ließ sie sich ins Bett fallen, was uns fröhlich machte. Ich hatte einen Lampenschirm, mit einem selbstgestrickten Deckchen versehen. So fühlten wir uns im Zimmer mit Fliedertapete recht wohl.

Ich erinnere mich auch an Krankheitstage. Als es uns langweilig erschien, durften wir unser Ziegenböckchen mit ins Bett nehmen, und Mutter amüsierte sich, wie Kinder- und Ziegenköpfchen abwechselten. Bis das kleine Viech das Bett bepinkelte, da wollte keiner mehr. Den Durst löschten wir an Krankheitstagen oder bei großer Hitze mit Himbeersaft, den Mutter aus unseren Waldhimbeeren roh bereitet hatte. Der schmeckte! Andere Bräuche: Bratäpfel beim 1. Schnee - mache ich heute noch!

Mein Schulbesuch 1914 - 1923
Stolberg mit seinen 2.000 Einwohnern hatte einen Fürsten, der zahlreiche Beamte beschäftigte. Die nächste Bahnstation war 6.3 km entfernt, es gab keine Verbindung. Viele Eltern waren an einer guten Schulbildung ihrer Kinder interessiert, so lohnte sich eine Privatschule. Ich kam nach Ostern - das war überall der Beginn eines neuen Schuljahres - 1914 in die Nona der Privatschule am Plan, wo in einem kleinen Haus 2 Zimmer gemietet waren. Es gab 3 Grundschuljahre. Zu Beginn der Schulzeit gab's eine Zuckertüte. Jeder wollte natürlich die Größte haben. Ich war es nicht, Mutter tröstete mich, es komme auf den Inhalt an. Das sieht kein Kind ein ! Meinen neugewonnenen Freund Werner König verlor ich, als die Zuckertüte leer war. Jetzt gibt es genormte Tüten.

Die Ausstaffierung des Ranzens bestand aus einer Fibel, einem Rechenbuch, einer Schiefertafel und Schieferkasten mit Griffeln. Ein Griffel kostete 1 Pf., ein vergoldeter 2 Pf. Man mußte 2 gespitzte Griffel haben, weil manchmal einer abbrach. Morgens mußte der Schwamm angefeuchtet werden, der mit einem Bändchen an einem Loch in der Schiefertafel hing, am anderen Ende des Bändchens befand sich der Trockenlappen, beide guckten aus dem Ranzen heraus. Die eine Seite der Schiefertafel war mit roten Doppellinien, die andere mit roten Kästchen versehen. Das Schreiben begann mit i: rauf - runter - rauf - Pünktchen obendrauf.

Mein 1. Lehrer war Herr Riemann, vor dem ich bebende Angst hatte. Wir saßen auf Bänken mit angeschrägten Tischen davor. Wir mußten die Finger auf die Bänke legen und so sitzen. Wer es nicht schaffte, erhielt einen Schlag mit dem Lineal auf die Finger, manchmal mit der metalleingelegten Kante - das tat sehr weh. Da war ich lieber brav. Mein Jahrgang war stark, wir müssen etwa 8 Kinder gewesen sein. Später waren wir 5, zuletzt 3.

Nach 4 Monaten brach der Krieg 1914 aus, wir zogen mit Mutter nach Enger zu den Großeltern, die im großen Pfarrhaus für uns Platz hatten. Unser Vater und 4 Brüder meiner Mutter waren im Krieg. Wir 4 Kinder hatten im großen Garten einen herrlichen Auslauf.

Ich kam nun in die Volksschule in Enger. Meine neue Klasse bestand aus Jungen und Mädchen, die Jungen saßen links, die Mädchen rechts. Die Sitzordnung ging nach Leistung, die besten saßen hinten. Ich wurde als Neue erst einmal nach vorn gesetzt. War man leistungsstärker als der Vorgänger, hieß es: "Setz dich einen rauf". Dann packte man Ranzen und Zubehör auf den nächsten Platz. Wir saßen auf 5- er Bänken, oben in einer Rille waren Tintenfässer eingehängt, die mit einer Klappe zu schließen waren.

Es gab die Prügelstrafe mit Rohrstock, der immer auf dem Pult lag. Sie wurde vor der Klasse vollzogen: "Bück dich...", danach ging der Bestrafte weinend zu seinem Platz. Ich erinnere mich, daß ein Junge mal seinen Hosenboden mit einem Buch ausstaffiert hatte, das sich beim Bücken abzeichnete. Sofort petzte die Klasse! Dafür gab's 3 Extraschläge. Grund zu Schlägen war: keine Hausaufgaben, Schwatzen im Unterricht, mogeln, abschreiben. Ich hatte mich durch ein paar Reihen bis nach hinten durchgearbeitet, saß als 3., bis die 2., Dina Heuer, ihren Platz für mich räumen mußte. Das gab dicke Tränen bei ihr. Da saß ich neben Martha Tödtmann, einer gescheiten Pfarrerstochter, mit der ich auch befreundet war, wir "seien gleich leistungsstark". Inzwischen wurde die Ernährung schlechter, unser ehrlicher Großvater wollte mit Marken auskommen - die Lebensmittel waren bewirtschaftet. Da überlegte Mutter, ob wir in Stolberg nicht besser aufgehoben seien. Schulisch wurde erwogen, daß die Privatschule viel besser sei. Also wurde beschlossen, daß ich 1 Jahr überspringen und in die Höhere Töchterschule übergehen müsse. Diese Höhere Töchterschule war ursprünglich eine Stiftung. Sie befand sich in der Wittekindhalle in einigen Räumen. Wir hatten sehr tüchtige Lehrerinnen, die viel verlangten. So wurde ich gut gefördert, denn wir hatten wieder kleine Klassen, aber nur Mädchen, und ohne Stock. Dafür gab's Strafarbeiten.

1917 ging's wieder zurück nach Stolberg in die Privatschule, wo ich aber in meiner Klasse blieb. Da war ich nur mit Jungen zusammen, mit denen ich auch spielte. Sie hatten immer Ideen.

Inzwischen war ein deutlicher Abstieg der Lehrerqualitäten durch den Krieg eingetreten. Unser Vater kam nach schwerer Verwundung aus dem Krieg zurück und versah die verwaiste Praxis. Nach dreimaligem Versuch der Fürstin, endlich einen Arzt für Stolberg wiederzubekommen, "gestattete es die Kriegslage".

Unsere Rechtschreibung war in guten Händen. Wir mußten büffeln. Mutter ließ uns buchstabieren. Wer's nicht konnte, mußte 10 mal abschreiben. Die Jungen waren immer dran. Hatten auch keine solche Mutter wie wir.

In unserer Privatschule ging's bis Obertertia, als Sprachen wurden Französisch, Englisch, Latein, Griechisch vermittelt. Mein älterer Bruder Hans hatte Latein und Griechisch. Durch das Überspringen hatte ich die Obertertia mit 13 Jahren beendet und sollte weiter. Unsere Mutter hatte sich das Internat Droyßig angesehen. Es gefiel ihr, jedoch fing dort das neue Schuljahr im Herbst an. Ich besuchte einige Stunden die Privatschule und hatte in einigen Fächern Nachhilfeunterricht, z.B. Deutsche Literatur, da waren die Anforderungen in Droyßig, einer staatlichen Erziehungs- und Bildungsanstalt höher. Diese Privatstunden erhielt ich bei einem Pastor Gentsch, je Stunde ein Ei!

Für mich ging's im Herbst nach Droyßig. Vater brachte mich hin. Ich kam in die 9. Klasse des Lyzeums. Wir wohnten im Internat, schliefen in einem riesigen Schlafsaal, wohnten in Zimmern zu 7-10, hatten eingeteilte Zeiten nach der Klingel und Uhr. Unsere Klassenräume befanden sich im selben Stockwerk um die Ecke. Spazierengehen nur in Gruppen, sonst Mauern um uns. Unser 10. Schuljahr wurde im Mai beendet, so daß ich mit 15 Jahren die 10-jährige Schulzeit beendet habe.

An meinen häufig wechselnden Schulbesuchen kann man erkennen, welche Mühe sich die Eltern gaben, uns eine gute Schulbildung zu vermitteln. Und das bei 4 Kindern! Meine 3 anderen Geschwister haben Abitur abgelegt. Ich begann eine Ausbildung in Bielefeld zur Technischen Lehrerin.



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Bildergalerie Liselotte Luyken


ca. 1910
Hans und Liselotte

ca. 1911
Hans und Liselotte

Stolberg, 1.12.1914

Liselotte und Hans

Hildegard, Grete und Liselotte

Stolberg, 22.2.1920
Grete, Elisabeth, Liselotte,
Hans, Ewald und Hildegard

Stolberg, 1922
Hans, Hildegard, Elisabeth,
Grete, Liselotte und Ewald

Dezember 1924

Stolberg, 25.7.1926
Hildegard, Elisabeth, Grete,
Ewald und Liselotte

1926

Silberne Hochzeit der Eltern
Stolberg, 2.8.1930
Ewald, Liselotte,
Hildegard und Elisabeth

Stolberg, 29.7.1931

Verlobung, 1.9.1935
Das Brautpaar mit der Familie
Hinten: Hans, Siegtraut, Grete,
Max Poeschel, Hildegard, Erich
Vorne: Elly Poeschel. Elisabeth, Liselotte,
Johannes und Ewald

Stolberg, September 1943

Stolberg, 19.6.1937
Liselotte, Elisabeth und Ruth

Stolberg, 19.6.1937
Ewalds 63. Geburtstag
Hinten: Erich, Hildegard, Grete,
Siegtraut und Hans
Vorne: Elisabeth, H. D., Ruth,
Ewald, Liselotte und I.

Ilse von Drigalski, Hans,
Johannes und Liselotte

Als Krankenschwester
während des 2. Weltkrieges

Liselotte und Johannes

1947
Liselotte und Paul

17.4.1948
Hochzeit in Stolberg

17.4.1948
Liselotte und Paul

1948

1953

Oldenburg, 1953
I., H., Liselotte,W.,
Ewald, Siegtraut, Hildegard und H.,

2.6.2002
Familientag Schwäbisch Hall
Leni, Liselotte, Grete und Irma

2004

Liselotte und Urenkelin Lisa

22.3.2008
Mit allen Nachkommen

22.3.2008
100-Jährige Jubilarin

22.3.2009
Weimar
101. Geburtstag
Zeitungsbericht zur Geburtstagsfeier

22.3.2010
Weimar
102. Geburtstag


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Liselotte Luyken
Interview zum 100. Geburtstag

Liselotte ist am 22.3.2008 100 Jahre alt geworden. Aus diesem Anlass drehte ihr Sohn Wolf-Heinrich einen Film, in dem jedes ihrer 10 Enkelkinder 3 Fragen zu ihrem Leben stellen durfte. Die Fragen und Antworten:

Antwort

•  Was hat Dich in Deinem Leben am meisten beeindruckt?

Antwort

•  Wo hattest Du in Deiner Jugend am liebsten gespielt?

Antwort  

•  Wann und wo hast Du Fahrradfahren gelernt?

Antwort

•  Erzähl doch bitte die Geschichte vom Hamstern!

Antwort  

•  Ihr hattet in Stollberg das erste Auto.
Wie war das Gefühl, mitfahren zu können?

Antwort

•  Wie war Dein Verhältnis zu Deinem Vater und Deiner Mutter?

Antwort  

•  Wie hast Du Dich mit Deinen Geschwistern verstanden?

Antwort

•  Wie habt Ihr Euch in der Kriegszeit versorgt?
Was gab es zu essen und zu trinken?

Antwort  

•  Wie habt Ihr Euch als Jugendliche gekleidet?

Antwort

•  Was hat man sich damals zu Weihnachten geschenkt?

Antwort  

•  Du hattest als Jugendliche wenig Selbstbewusstsein.
Wie hast Du das Überwunden?

Antwort

•  Als Lehrerin hattest Du sicher schon damals mit unangenehm auffallenden Schülern zu tun. Welche Möglichkeiten hattest Du und welche Maßnahmen waren früher üblich?

Antwort  

•  Würdest Du den gleichen Beruf wieder wählen?

Antwort

•  Was war die wichtigste Erfahrung in Deinem Leben?

Antwort  

•  Warum ging Rutchen damals mit 18 Jahren weg und wie war der Abschied?

Antwort

•  Woher nimmst Du Deine Freude und Zufriedenheit?

Antwort  

•  Wie hast Du Deinen zweiten Mann kennengelernt?

Antwort



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Verweise Liselotte Luyken

Interne Verweise
• Bestandsaufnahme, Chronikblatt 1927, Seite 345
• Heiratsfeier Hilde Luyken und Erich Kalkoff, Chronikblatt 1932, Seite 66
• Bericht zur Taufe der Doppeltaufe von I. K. und H. S., Chronikblatt 1933, Seite 102
• Verlobungsanzeige, Chronikblatt 1935, Seite 354
• Heiratsanzeige und Hochzeitsbericht, Chronikblatt 1935, Seite 383



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