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Suche nach Max / Teil 6

Technik und Poesie
Die Akademische Vereinigung "MOTIV"

8 Monate Forschung in der längsten Höhle der Welt – dieses Erlebnis hat Max nicht für sich behalten, da sind wir uns ganz sicher. Er muss seinen Freunden und Verwandten davon erzählt haben. Wenn wir mehr wissen wollen über seine Motive müssen wir uns seinen Freundeskreis ansehen, nur dort können wir vielleicht Antworten auf unsere Fragen finden.

Wir müssen eintauchen in das in das Berlin der Jahrhundertwende.

Max war Mitglied einer Studentenverbindung namens MOTIV, berichtet uns die Familie. Der Name scheint uns ein gutes Omen zu sein bei unserer Suche nach seinen Motiven für die Höhlenforschung.

Die "Akademische Vereinigung MOTIV" existiert noch heute. Eine kleine, musisch orientierte Verbindung, in der sich Studenten der Technischen Hochschule in Berlin zusammengefunden haben Zwei Dutzend aktive Mitglieder und eine etwas grössere Zahl alter Herren. Seit einigen Jahren werden auch Studentinnen aufgenommen.

Ein Vereins-Archiv gibt es nicht mehr. Alles im Krieg verloren gegangen, bedauert der Vorsitzende. Das Internet hilft weiter: in verschiedenen Bibliotheken sind noch einzelne Exemplare der Jahresberichte des Vereins aufzuspüren.

Nach und nach wird für uns die Studentenwelt lebendig, in der Max lebte, bevor er zu seiner Amerika-Reise aufbrach.

MOTIV war damals einer der grossen renommierten Studentenvereine an der Technischen Hochschule. Das technische Studium verleite zu Einseitigkeit, und der sei "am besten durch die Weckung des Interesses für alle Gebiete menschlichen Wissens und Könnens vorzubeugen" – so die gemeinsame Überzeugung. Und so wurde emsig gedichtet und Theater gespielt, gemalt und musiziert.

Die MOTIV-Feste waren im Berlin der Jahrhundertwende gesellschaftliche Grossereignisse mit tausend und mehr Gästen. 1902 bezog der Verein ein stattliches Vereinsheim in Charlottenburg – heute beherbergt das Motiv-Haus das Renaissance-Theater.

In einem Würzburger Spezial-Archiv zur Geschichte der Studentenverbindungen stossen wir auf Notenblätter der Jahrhundertwende. Walter Luyken (gesprochen: Lühken), Max´s engster Freund und Bruder der von Max so verehrten Gerta, hatte zum Sommerfest seines Vereins eine eigene Komposition beigesteuert, ein Menuett für Violine und Klavier. Wir zeigen die Noten zwei lettischen Musikern, Nilss Sikalns und Terese Rosenberga. Sie finden das Stück interessant und bringen es für uns neu zu Gehör.

Frau Kämper:

"Ich stelle mir also Gerta nun vor am Flügel. Und Max Kämper spielt Geige dazu. Zu einer Komposition die Gertas Bruder Walter gemacht hat. Ich könnte mir vorstellen, dass die zwei das gespielt haben. Und wenn man miteinander musiziert hat man ja doch eine enge Beziehung zueinander. Und vielleicht hat er ja auch darum seine Höhlenentdeckung der Gerta gewidmet."

"Es gab ja nun kein Fernsehen. Und sonst nicht viel Ablenkungen und da wurde Musik gepflegt in Kreisen, in denen man zusammenkam, zu Hausmusik. Komponiert wurde auch. Das gehörte mit zur Freizeitgestaltung, die man selber machte, und nicht nur hörte."

Die Wege von Max und Gerta trennten sich, denn sie hatte ja während seiner Amerikareise einen anderen geheiratet. Doch im Umfeld der Akademischen Vereinigung MOTIV gab es zahlreiche andere junge Damen im heiratsfähigen Alter. Die Alten Herren hatten nichts dagegen, wenn ihre Töchter bei den Verbindungsfeiern nach standesgemäßen Ehemännern Ausschau hielten – im Gegenteil. Bei einer MOTIV-Feier lernte Max seine spätere Frau Elsbeth kennen, die Schwester eines Verbindungsbruders.

Frau Kämper:

"Da hat er sie mal abgeholt zum Tennisspielen und hat gefragt "sind Sie noch frei" und da hat sie gesagt: "Ja gerne, Herr Kämper" . Aber das war alles nach der Amerikareise. "

MOTIV war ein eher unpolitischer Verein. Die schönen Künste und das Gesellige standen im Vordergrund, selbst in ganz unverfängliche politische Fragen mischte man sich nur sehr ungern ein. Allerdings – Hinweise auf die "vaterländische Begeisterung" durften in den Jahrbüchern nicht fehlen. Mit besonderem Stolz wird vermerkt, dass bei den Feierlichkeiten zum 80. Geburtstag des Altreichskanzlers Bismarck in Friedensruh auch eine Motiv-Delegation zugegen war. Und dass die versammelte studentische Festgemeinde zu Ehren des Jubilars einen Lobgesang aus der Feder eines MOTIVERS anstimmte wurde noch Jahre später in den Annalen in epischer Breite dargestellt.

Ein Nachbar der Kämpers im Grunewald war der Archäologe Alexander Conze, damals eine Berühmtheit wegen seiner Forschungen am Pergamon-Altar. Die Familien waren gut miteinander befreundet. Ein Foto zeigt die Kämpers und die Conzes beim Kartenspiel, mit Max und seiner Schwester Elisabeth als Zuschauern. Aufgenommen von Max mit Selbstauslöser. Max´s Schwester Anna heiratete später Conze junior.

Sicher waren die spektakulären archäologischen Entdeckungen des Nachbarn ein häufiges Thema im gastfreundlichen Haus der Kämpers.

Und da gab es noch den Vetter Karl, der ebenfalls spannende Geschichten von seinen Forschungsreisen erzählen konnte. Karl Luyken, um viele Ecken mit Max verwandt und ebenfalls Motiv-Mitglied, war von 1901 bis 1903 Teilnehmer einer deutschen Antarktisexpedition. Auf den Kerguelen studierte er im Auftrag seines Kaisers 15 Monate lang unter schwierigsten Bedingungen den Erdmargnetismus.

Frau Kämper:

"Also die Luyken Vettern waren wohl alle sehr .. interessiert an den Dingen rundum. Einer davon hat ja diese Südpolgeschichte gemacht. /.../ Fotografiert haben sie alle und auch selber entwickelt. Das war ja diese Zeit des Aufbruchs und sie waren alle an diesen technischen Neuheiten sehr interessiert aber auch musisch sehr begabt. Das war wohl in der Familie so üblich, dass man sowas machte."

Das Interesse an wissenschaftlicher Forschung lag also in der Familie. Doch was trieb Max ausgerechnet in die Mammoth Cave?

Der Zufall hilft uns weiter. Eine Veröffentlichung des Nürtinger Höhlen- und Heimatforschers Hans Binder kommt uns auf dem Tisch. Der Titel: "Der Ingenieur und Dichter Max Eyth und sein Plan der Mammuthöhle aus dem Jahr 1866". Max Eyth, ein Ingenieur, der in der Mitte des 19. Jahrhunderts die Welt bereiste und darüber viele Bücher schrieb, hatte der Höhle gut 40 Jahre vor Max Kämper einen Besuch abgestattet.

In seinem Werk "Im Strome unserer Zeit", erschienen 1905 in Berlin, schildert Max Eyth seine Erlebnisse in der Mammoth Cave. Max Eyth war im Berlin der Jahrhundertwende eine prominente Figur. Er hatte sich als Gründer der Deutschen Landwirtschafts Gesellschaft einen Namen gemacht und war besonders in Ingenieurskreisen hoch geschätzt. 1904 hielt er bei der Hauptversammlung des Vereins Deutscher Ingenieure die Festrede zum Thema "Technik und Poesie":

"Fast allgemein, vornehmlich aber in der deutschen gebildeten Welt wird angenommen, dass Poesie und Technik zwei Gebiete sind, zwischen denen eine Berührung kaum denkbar ist.

Der grösste Teil der gebildeten Welt ist farbenblind für die Poesie der Technik.

Dass ein Gerät, eine Vase, eine Amphore schön sein kann, wird nicht geleugnet. Niemand kann einen vernünftigen Grund angeben, weshalb in ähnlicher Weise eine Maschine – dieses Gerät mit selbständiger Bewegung, mit einem gewissen Eigenleben – nicht schön sein könnte. Techniker sehen diese Schönheit. Sie sehen die Schönheit einer Lokomotive, einer mit technischem Geschmack entworfenen Werkzeugmaschine.

An der Bildung des Geschmacks in diesem Sinne fehlt es ausserhalb der Fachkreise, in der sogenannten gebildeten Welt, fast völlig. Die Techniker können freilich hiemit Geduld haben, denn die Zukunft gehört ihnen."

Das lag voll und ganz auf der Linie des "Akademischen Vereins Motiv". Max Eyth war sicherlich eine Art Leitfigur für die jungen Ingenieure, die sich bei Motiv zusammengefunden hatten.

Wir weisen die Familie auf diese mögliche Verbindung hin und sie schaut noch einmal in den Bücherregalen nach. Und tatsächlich: Max Eyth´s Beschreibung der Mammoth Cave ist vorhanden - offensichtlich schon seit Max Kämpers Zeiten. Wir haben keine Zweifel: die Amerika-Reise von Max Kämper war eine Reise auf den Spuren seines Vorbilds, des berühmten musischen Ingenieurs Max Eyth, dessen Schilderungen den jungen Ingeníeur letztlich zur grössten Höhle der Welt führten.