Biographie Karl Kerlen
Carl Kerlen besuchte das Stadtgymnasium in Dortmund und sollte nach dem Willen der Eltern Theologe werden.
Stattdessen suchte der einzige Sohn das Abenteuer in Amerika. Er schlug sich von 1854 bis 1857 als Waldarbeiter
und Holzfäller durch und lernte so die Baumarten kennen, die er später in Arnsberg in seinem Park anpflanzte.
Zu seinem persönlichen Glück verhalf ihm die Gelegenheit, als Lebensretter für die Tochter eines Indianerhäuptlings
auftreten zu können. Der Indianer revanchierte sich mit seinen Kenntnissen über ein Gold enthaltendes Gebiet und
Carl fand soviel davon, dass er sich die Rückreise nach Deutschland und das Leben in der alten Heimat für eine
Weile leisten konnte.
Nach seiner Rückkehr entschloss er sich bald Berufssoldat zu werden. Er trat als Einjähriger zunächst bei der
Garde Artillerie ein. Vor 1859 finden wir ihn als Eleve auf einem Gute in der Nähe von Kamen. Nach der
Mobilmachung wurde er Landwehroffizier. 1860 wurde er zum 53. Inf. Regiment versetzt und war in Münster und
Warendorf stationiert. Anschließend wurde er zum Lehrbataillon nach Potsdam kommandiert. 1864 nahm er am
Deutsch-Dänischen-Krieg teil, der für ihn
von entscheidender Bedeutung werden sollte.
Neben den Danewerken, die schon seit historischer Zeit die
südliche Verteidigungslinie der Dänen bildeten, stellten
die Düppeler Schanzen am Als Sund das
Schutzbollwerk zur Sicherung des Übergangs zu den dänischen Inseln dar und
hatten allen bisherigen Belagerungen und Erstürmungsversuchen standgehalten. Nachdem die Dänen im Februar 1864
Schleswig und Flensburg geräumt und die Danewerke aufgegeben hatten, zogen sie sich auf die Düppeler Schanzen zurück
und sorgten bei allen 10 Schanzen für freies Schussfeld. Für uns ist nun die endgültige und letztlich
kriegsentscheidende Erstürmung der Schanzen wichtig. Sie fand am 18. April 1864 statt und begann in der
Nacht um 4 Uhr. Sechs Stunden lang wurden die Schanzen von schwerer Belagerungsartillerie unter Beschuss
genommen.
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Die Erstürmung der Düppeler Schanzen am 18. April 1864
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Um 10 Uhr begann der eigentliche Sturm auf die Schanzen. Theodor Fontane berichtet in seinem Buch
"Der Schleswig-Holsteinische Krieg im Jahre 1864" auf den Seiten 207 bis 222 ausführlich von der Erstürmung der im
Mittelfeld gelegenen Schanze IV, welche der stärkste Teil der Anlage gewesen sein soll. Zur Erstürmung der
Schanze IV stiegen Schlag 10 Uhr Kompanien vom 53. Regiment aus der Parallele heraus auf besagte
Schanze. Der Weg zu dieser Anlage führte zwischen den Festungswerken III und V hindurch, wobei in dem
mörderischen Schlachtengetümmel die Schanze III nicht weniger als fünfmal erobert wurde.
Oberst v. Buddenbrock, der Kommandeur des 53. Regiments indes, der dies erkannte, stoppte, energisch
eingreifend, den Strom der Kämpfer und zwang ihn, sich jetzt endlich auf das eigentliche Ziel, die Erstürmung der
Schanze IV zuzubewegen. Die Dänen, die Absichten des Feindes erkennend, stiegen auf die Krone der Schanze und
eröffneten zur Abwehr ein starkes Flintenfeuer. Trotz dieser Hemmnisse drang die Kolonne unter starken Verlusten vor
und stieg schließlich auf die Brustwehr hinauf. Wörtlich lesen wir nun bei Fontane auf Seite 209:
"Unter den Vordersten befanden sich die Premierlieutenants v. Baer, Benkendorff und v. Bastineller
und die Secondelieutenants Kerlen und Coppenrath."
Und auf Seite 222 steht in der Fußnote:
"Bei der Eroberung
der Schanze VIII wirkte auch Lieutenant Kerlen vom 53. Regiment mit, der die Kehlfront umgehend, die
Brustwehr von Norden erstieg. Es war dies die dritte Schanze, die Lieutenant Kerlen erobern half. Bei allen dreien
tat er sich hervor. Er gehörte zur 4. Sturmkolonne und war - neben Lieutenant Loebbecke - einer der ersten in
Schanze IV. Von Schanze IV aus stürmte er mit 30 bis 40 Mann von den verschiedensten Regimentern
gegen Schanze VII und war hier vielleicht der erste."
Möglicherweise hatte sich bei dieser Schanze die
Geschichte zugetragen, von der die Dortmunder Zeitung am 11. Januar 1927 am Ende eines Artikels über die
Familie Hammacher berichtete. Danach soll Karl Kerlen seinen Degen aus der Scheide gezogen haben und ihn über die
Palisaden werfend zu seinen Leuten gerufen haben: "Vorwärts marsch, wir holen ihn uns wieder!" Und da das
Bravourstück gelang, erhielt Karl Kerlen für besondere Tapferkeit den Orden
"Pour le Mérite". Auf dem Kerlen-Hof in
Schleswig Holstein verwahren die Nachkommen heute noch ein Bild mit Widmung des Kronprinzen Friedrich Wilhelm, dem
späteren Kaiser Friedrich III. und, wie wir bei unserem diesjährigen Besuch überrascht feststellen konnten,
auch noch den Orden.
Eine Folge dieser hohen Ehrung war es auch, dass Carl als Ordonanz-Offizier den damaligen Kronprinzen
Friedrich Wilhelm zur Erbhuldigungsfeier nach Münster i. W. begleiten durfte, welche vor dem preußischen
Königspaare am 18. Oktober 1865, dem 50. Jahrestage der Wiedervereinigung Westfalens mit Preußen
stattfand; für einen Kerlen noch eine zusätzliche Anerkennung, da doch der Großvater in schwierigen Zeiten einer
der ersten preußischen Beamten in Münster war.
Nunmehr als Kompanieführer zog er 1866 gegen Österreich und wurde dazu zum 86. Inf.-Regiment nach Zeitz verlegt.
Nach Beendigung dieses Feldzuges wurde er zum Hauptmann befördert. 1870 war er Ausbilder, später vertretungsweise
Kommandeur in der Unteroffiziersschule Weißenfels. In diesem Jahr fand auch die Eheschließung mit der
Tochter des Gewerken - heute würde man sagen Hüttenbesitzers - Wilhelm Hammacher in
Warstein statt, wo es noch eine Anekdote zu vermelden gibt. Um in Kriegszeiten und überhaupt vor seinen Leuten die
sehr private Angelegenheit zu vertuschen, telegrafierte er nach Warstein: "Stute Lina für Hauptmann Kerlen
bereithalten." Lina Hammacher und Carl Kerlen kannten sich bereits aus Kindertagen,
denn die Pastorenfamilie wohnte schräg gegenüber vom Kaufhaus Hammacher in Dortmund. Der Vater Wilhelm Hammacher
hatte erst später die Leitung der Eisenhütte in Warstein übernommen und die Verwaltung des Geschäftes in Dortmund
seinem noch rüstigen Vater überlassen. Die Trauung fand schließlich am 23. Oktober 1870 in Warstein statt.
Kurze Zeit nach der Hochzeit kam Carl zur Besatzungsarmee von Paris und wehrte am 19. Januar 1871 einen
Ausfall der Franzosen aus dem Mont Valerien erfolgreich ab. Und nun lesen wir in der Familienchronik der Kerlens
den entscheidenden Satz: Am Tage zuvor hatte er in der Spiegelgalerie des Versailler Schlosses der Kaiserproklamation
beigewohnt. Also war er tatsächlich bei dieser Feier zugegen gewesen und könnte natürlich auch zwischen den
zahlreichen Militärpersonen auf den beiden später veröffentlichten Gemälden zu sehen sein.
Im März zog Hauptmann Kerlen mit seiner Frau nach Weißenfels. Die junge Familie wohnte in den nächsten Jahren dort,
wo auch die beiden ersten Söhne geboren wurden. Bei der Taufe des 1. Sohnes werden die beiden Großelternpaare,
Oberpfarrer und Superintendent Kerlen aus Dortmund und seine Frau und die Familie Hammacher, Hüttenbesitzer zu
Warstein, als stolze Paten genannt. Leider lebte der Sohn Karl nur 14 Tage.
Am 30.8.1873 wurde dem Paar der zweite Sohn geboren und auf die Namen
Curt Karl Albrecht getauft. Vom Nachkommen dieses Sohnes stammen die ersten
Aufzeichnungen, woraus wir besonders die illustrierenden Geschichten entnommen haben.
Lina war mit gut 20 Jahren Kommandeursfrau und so wollen wir gerne jene Geschichte glauben, die sich an
einem Sonntag, als das Personal im Gottesdienst war, zugetragen haben soll. Ein nach Weißenfels strafversetzter
Leutnant meldete sich just um die Stunde des Kirchgangs bei der Kommandeursfamilie zu seinem Antrittsbesuch.
Der Enkel Fritz Kerlen schildert es so: Da ging Großmutter im weißen
Spitzenhäubchen, wie es damals so Mode war, selbst zur Türe und öffnete dem Gast. Der eintretende Leutnant fasste
der jungen Frau unters Kinn und sagte: "Na, Kleine, ist die alte Kommandeuse da?" Großmutter Lina machte einen
höflichen Knicks, führte den jungen Mann in den Salon und bat ihn dort auf die Herrschaft zu warten. Indessen zog
sie sich um und gab sich wenig später dem verdutzten Leutnant als die "Alte" zu erkennen.
1875 finden wir den Hauptmann beim 79. Regiment in Hameln, wo am 7. August die Tochter
Karla geboren wurde. 1878 wurde er nach Brandenburg versetzt und zum Major
und Bataillonskommandeur im 35. Inf.-Regiment befördert. Aus gesundheitlichen Gründen nahm er einen längeren
Urlaub. Gicht und Rheuma setzten ihm mittlerweile derart zu, dass er sich zunächst beurlauben ließ, schließlich
aber seinen Abschied nahm und nach Arnsberg zog.
Für Arnsberg als Alterssitz sprach vor allem der Arnsberger Wald. Der Schwiegervater des Majors, Wilhelm Hammacher,
hatte zur Gewinnung von Holzkohle in der Nähe von Möhnesee und Hevebecken Waldgebiete erworben und Carl hoffte diese
verwalten und vor allem darin seiner Jagdleidenschaft nachgehen zu können. Ihre Wohnung hatte die Familie zunächst
in der Königsstraße, gegenüber der Einmündung der Prälaturstraße. Leider kam dann alles ein wenig anders, denn
1881 starb der Hüttenbesitzer Hammacher und der mit der Verteilung des Erbes beauftragte Kaufmann
Arnold Luyken, übrigens ein Sohn des
Arnsberger Kreisrichters und zugleich ebenfalls
ein Schwiegersohn Hammachers, entschied nach ökonomischen Gesichtspunkten, dass der Wald verkauft würde. Mit Linas
Anteil vom Verkauf der Warsteiner Eisenhütte ging der Major zielstrebig daran, in der Verlängerung der Königstraße
vor dem Eichholz den Bauern ihre Grundstücke abzuhandeln, so dass bald einer den anderen fragte: "Hat dir auch der
verrückte Major ein Äckerchen abgekauft?"
Kerlens erbauten auf dem Grundstück eine Villa im italienischen Stil mit
vielen Glasfenstern, die sie am 15. März 1883 bezogen. Weil die großen Glasscheiben einigen Arnsberger
Lausbuben als Zielscheiben gedient haben sollen, gab es anfangs einigen Ärger. Zwei Gründe sollen für eine
Veränderung in den Beziehungen zu den Anwohnern gesorgt haben, einmal machte der Major klar, dass er als
leidenschaftlicher Jäger und Militär über ein Gewehr verfüge und gut schießen könne und dann brachte er führenden
Personen aus der katholischen Gemeinde Arnsbergs Rosenkränze mit besonderen Widmungen und Segenswünschen von einer
Reise mit, womit der Protestant Kerlen zu verstehen gab, dass er den Glauben der Bevölkerungsmehrheit zu achten
gedenke. Um die Villa legte er nach Angaben von Kurt Kerlen einen ca. 5 ha großen Park an, in den er auch
zahlreiche Bäume aus Nordamerika setzte. Neben den herrlichen Bäumen, Sträuchern und Blumen gab es einen kleinen
See und eine Kegelbahn. Fürst Pückler mag bei der Ausgestaltung Pate gestanden haben, formulierte einmal ein Gast;
vielleicht war es auch der Wörlitzer Park,
den Kerlens von Weißenfels oder Zeitz aus kennengelernt haben könnten.
Angeblich wurden zunächst von jeder Baumart zwei Exemplare bestellt und eingepflanzt, aber hernach ließ man vor
allem von den besonders wüchsigen Sorten nur einen Baum im Park weiter wachsen. Eine mächtige amerikanische Eiche
dominiert noch heute den unteren Teil des Gartens, der in den Besitz der Tochter Karla und damit später der
Familie Schmale übergegangen ist.
Der Major war Mitbegründer der Casinogesellschaft und mischte sich wohl nicht nur in seiner Eigenschaft als
Stadtrat in allerlei Angelegenheiten ein, wenn er sich nicht wegen seines Rheumas vor allem während der nasskalten
Jahreszeit in wärmeren Ländern aufhielt. Die Familie bereiste Nordafrika und war häufig in Italien. Im Zusammenhang
mit dem Major sind auch noch drei Kanonenrohre zu erwähnen, die von einem dänischen Kriegsschiff stammen sollen
und aus der Ostsee geborgen worden waren. Zunächst als Schrott zum Einschmelzen in das Sauerland gekommen, besorgte
Carl Kerlen die Aufstellung je eines Kanonenrohres am Schlossberg, unterhalb des Ehmsen-Denkmals im Eichholz und
natürlich eine vor seiner eigenen Villa. Später hieß es, dass die Geschütze auch ursprünglich vom Schlossberg
stammten, was so nicht stimmt. Sie verdanken ihre Existenz in Arnsberg dem Major Kerlen.
Das ereignisreiche Leben des Majors endete allerdings nicht in Arnsberg, sondern am 5. März 1904 in Florenz.
Als er merkte, dass es zu Ende ging, verlangte er nach seinem Orden, presste ihn noch einmal an die Brust, nahm
militärische Haltung an, sagte, den Kopf grüßend vorbeugend "Majestät" und - verschied, so wird es im
Familienkreise erzählt.
Quelle: Bericht von Horst Bernstein in: "Heimatblätter, Heft 27, 2006, Arnsberger Heimatbund e.V."
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