Familienverband Luyken



Chronikblätter 1955 (Band IV)
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Ludwigshafen, 24.4.2014



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Chronikblätter
für die Familie Luyken und ihre Anverwandten

- Neue Folge -


3. (24.) Jahrgang.     Düsseldorf      Weihnachten 1955


Voranzeige!

Der sechste Familientag
für die
Familie Luyken und ihre Anverwandten
soll vom 26. bis 28. Mai 1956 in Wesel stattfinden.

Folgendes Programm ist in Aussicht genommen:

Sonnabend, 26 Mai
Begrüßungsabend.

Sonntag, 27 Mai
Familienrat.
Gedächtnisfeier in der Willibrordi-Kirche.
Besuch auf Ruhhof und Sorgvliet.
Festessen im Rittersaal von Schloß Raesfeld.

Montag, 28 Mai
Besichtigung westfälischer Wasserburgen.

Es wäre außerordentlich zu begrüßen, wenn sich auch entfernter wohnende Familienmitglieder entschließen würden, am Familientag teilzunehmen.

Um schon zeitig einen Ueberblick über die voraussichtliche Teilnahme zu gewinnen, wird gebeten, bis 15.1.1956 die anliegende Postkarte abzusenden.

Weitere Nachricht folgt.





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Mitteilungen

1. Ehrung von Frau Hermine Körner (X 185 A KL).

Bei der Feier zum 50jährigen Jubiläum des Düsseldorfer Schauspielhauses wurde mitgeteilt, daß der nach dem Tode von Louise Dumont im Jahre 1932 gestiftete Ehrenschmuck für die bedeutendste Schauspielerin nunmehr an Hermine Körner verliehen worden sei. Hermine Körner hat lange Jahre unter Louise Dumont am Düsseldorfer Schauspielhaus gewirkt. Sie hat die Ehrung mit den Worten angenommen, daß sie den Schmuck tragen wolle im Gedenken "an die größte Frau, die die deutsche Bühne jemals besessen habe." Es handelt sich bei dem Ehrenschmuck um einen Goldtopas, den einst Louise Dumont aus königlicher Hand in Stuttgart empfangen hat.

Der Vorsitzende des Familienvorstandes, der im vorigen Jahr die Freude hatte, Frau Hermine Körner nach einem Schauspielabend in Duisburg zu begrüßen, hat ihr zu dieser Ehrung in verwandtschaftlicher Verbundenheit beste Wünsche übersandt.

2. Senior

Nach dem Ableben von Hermann Luyken ist sein Bruder Ewald Luyken (X 69 WB) in Stolberg (Harz) Senior der Familie.

3. Schloß Knippenburg

Wie erst jetzt bekannt wurde, ist Schloß Knippenburg, das Geburtshaus unserer Stammutter Anna Luyken geb. von Knippenburg (vgl. Seite 4 der Schrift "Die Familie Luyken") im Krieg durch Bomben sehr schwer beschädigt worden. Da seine Wiederherstellung nach Mitteilung der Eigentümerin vorerst nicht in Betracht kommt, ist der Plan, Schloß Knippenburg beim Familientag 1956 zu besuchen, aufgegeben worden.

4. Beitragszahlung

Es wird gebeten, den jährlichen Pflichtbeitrag der in der Bundesrepublik wohnenden Namensträger Luyken (Leuken) in Höhe von 5 DM für das Jahr 1956 auf das Postscheckkonto Köln 78 420 von Walter Luyken, Düsseldorf-Benrath überweisen zu wollen. Höhere Beiträge werden gern entgegengenommen. Die übrigen Verwandten werden gebeten, sich durch freiwillige Beiträge möglichst zahlreich anzuschließen.

Zur Deckung der Unkosten für dieses Heft wird gebeten, gleichzeitig einen Betrag von 3 DM zu überweisen.

Eine vorbereitete Zahlkarte liegt bei.


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Berichte aus der Familie

Der Arnsberger Zweig der Familie Luyken
Von
Walter Luyken (X 67 WA)

Der Begründers des Arnsberger Zweiges (Ast Wesel) der Familie Luyken ist Daniel Gustav Arnold Luyken, geboren am 26. März 1803 in Wesel. Er war der erste Sohn des Predigers Johann Arnold Luyken und seiner Gattin Margaretha geb. Schneider in Wallach gegenüber Wesel.

Die ältere am 18. Februar 1801 geborene Schwester Philippine († 1862) war mit dem späteren Stadt- und Landgerichtsrat Carl von Gillhaussen (1799-1867) in Wesel verheiratet, der jüngere am 6. Juli 1805 geborene Bruder Hermann († 1888), der von 1837-1876 Pfarrer in Berge bei Hamm i./W. war, wurde der Begründer des Zweiges Berge (Ast Wesel).

Ueber die Eltern Johann Arnold und Margaretha Luyken befindet sich eine ausführliche Lebensschilderung in Band II der Chronikblätter Seite 431 ff. Johann Arnold wurde seiner Gattin schon nach siebenjähriger Ehe im Jahre 1807 infolge von Typhus während eines Verwandtenbesuches in Amsterdam durch den Tod entrissen. Die Witwe Margaretha zog daraufhin mit ihren Kindern nach Wesel; sie starb dort 1834.

Gustav besuchte von Ostern 1816 - Herbst 1823 das Gymnasium in Wesel, studierte alsdann Rechtswissenschaften in Heidelberg und Berlin, diente zwischendurch als Einjährig-Freiwilliger beim Garde-Schützen-Bataillon in Berlin und bestand im Oktober 1826 die erste juristische Prüfung. Daraufhin erfolgte zunächst seine Ernennung zum Auskultator und ein halbes Jahr später die zum Referendar. Am 3. Juni 1834 heiratete Gustav in Hamm Julie Cappell, Tochter des Justizrats Franz Cappell und seiner Ehefrau Lisette geb. Heintzmann. Im März 1836 wurde er nach Ablegung der großen Staatsprüfung zum Assessor ernannt und bald darauf nach Arnsberg versetzt. Dort lebte er in der Stellung als Stadt- und Landgerichtsrat und später als Kreisgerichtsrat bis zu seinem Tode am 20. Januar 1874. Seine am 22. August 1811 geborene Gattin folgte ihm wenige Wochen später am 24. Februar 1874 in die Ewigkeit nach.

Gustav gehörte der VIII. Familiengeneration an, die beim Ast Wesel von den 4 Brüdern Daniel, Johann Arnold, Johann Philipp





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Gustav Luyken

Julie Luyken geb. Capell

und Johann Albert abstammte und in der IX. Generation 25 Nachkommen hatte. Davon waren dem Ehepaar Gustav und Julie - meinen Großeltern - 7 Kinder geschenkt worden, die 4 Söhne Edmund, Arnold, Philipp, Walter und die 3 Töchter Meta, Ottilie, Agnes, von denen Ottilie nach nur ¾jähriger Lebenszeit starb.

Das stattliche Haus, daß die Großeltern in Arnsberg nahezu 38 Jahre bewohnten, liegt mit seinem großen Garten noch heute fast unverändert in der Königstraße in dem Stadtteil, der nach der Eingliederung Westfalens in Preußen (1815) als Beamtenviertel mit Beihilfen des Staates im klassizistischem Stil unter Mitwirkung Schlüter's erbaut worden war. Seit jener Zeit hat sich im Zuge dieser Straße wenig verändert, wie überhaupt das Gesamtbild der oberen Stadt mit den Resten des alten Schlosses von fernen Tagen her im wesentlichen das gleiche geblieben ist. Die Wege, die unsere Vorfahren gingen, lassen sich daher auf Schritt und Tritt besinnlich nachverfolgen.

Die älteste Tochter Meta hatte sich 1861 mit Dr. jur. Louis Röder in Dortmund verheiratet und Ende 1863 verlobte sich die Tochter Agnes mit dem Landbaumeister Gustav Berring. Dies Ereignis nahm Großvater Gustav zum Anlaß, mit einem Tagebuch zu beginnen, das er alsdann in 3 Bänden bis zum 1. Januar 1874, also fast bis zu seinem Tode fortgeführt hat. Dieses Tagebuch spiegelt


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in seiner schlichten, natürlichen Abfassung, versehen mit vielen Bildern von Verwandten und Freunden, das damalige Leben in dem großen Familienkreis sehr lebendig wieder.

Wegen des großen Interesses, das an ihm fortbestand, wurde das Tagebuch zu Anfang dieses Jahrhunderts in Maschinenschrift vervielfältigt und dadurch auch der zahlreichen Enkelgeneration (27) bekannt. Diese fühlt sich nun umsomehr durch die gemeinsamen Großeltern verbunden, als es ihr vorher schon in selten schöner Weise vergönnt war, sich fast ausnahmslos bereits in den Kinder- und Jugendjahren durch Besuche, die meist in den Ferien stattfanden, näher kennen zu lernen. Den größten Anteil an diesem engen Zusammenschluß der "Arnsberger" hatten - das sei in besonderer Dankbarkeit vermerkt - der Großeltern zweiter Sohn
Arnold und seine Gattin Emma geb. Hammacher in Hamburg, die auf ihrem schönen Gut Annaberg bei Godesberg am Rhein in den Jahren 1887 bis 1896 (Verkauf) ihren Verwandten während der Sommermonate alljährlich in großzügigster Weise Gastfreundschaft boten. Durch die dort verlebten herrlichen Ferienwochen entstand eine Verbundenheit der Enkelgeneration, wie sie nur durch die unvergeßliche Gemeinsamkeit fröhlicher Kindheitserinnerungen hervorgerufen werden kann.

Das nun in meinem Besitz befindliche Tagebuch erregt jetzt immer noch Interesse und wird eigentlich bei jedem Verwandtenbesuch - auch von Urenkeln - hervorgeholt und durchgesehen. Daher ist es wohl auch gerechtfertigt, es auszugsweise mit verbindenden Bemerkungen von mir in den Chronikblättern zu veröffentlichen und so die in diesen befindlichen Lebensschilderungen aus den früheren Generationen fortzusetzen. Zudem wird mit dem Großelternhaus ein Bild guten Bürgertums aus dem XIX. Jahrhundert gezeigt, das sich in christlichem Verantwortungsgefühl seiner sozialen Verpflichtungen wohl bewusst war und sie gern erfüllt hat. -

Was war denn nun an den Großeltern, das die Menschen so anzog und sie in deren Nähe das Wohlbehagen empfinden ließ, dem sich jeder so gern hingibt? Nichts anderes, als was zu aller Zeit auf Erden so schön und doch garnicht so häufig ist: ein offenes fromm-fröhliches Gemüt, das sich mit natürlicher Herzlichkeit unbefangen dem Nächsten darbietet. Diese Gabe, gepaart mit originellem Humor, war besonders dem Großvater zu eigen, die Großmutter war schwerer veranlagt, aber die Innigkeit der Liebe war Beiden in reichstem Maße geschenkt.

Hatten die beiden etwa keine Sorgen? Verlief ihr Leben ohne Nöte? O nein, auch sie hatten ihre Packen zu tragen. Davon sprechen viele Seiten des Tagebuches, und manches Gedicht, das Großvater eingeschrieben hat, läßt erkennen, wie ihm zuweilen ums Herz war. So steht unter dem 12.9.1872:





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Wenn dich in dunklen Tagen
geheimer Kummer drückt
und unter stillem Klagen
dein Auge aufwärts blickt;
wenn dann kein Licht hernieder
in deine Seele fällt:
Dann zage nicht, du Müder,
denn Gott regiert die Welt.

O sammle nur im Stillen
den Trost der Vorsicht ein!
Ihr Kleid wird sich enthüllen,
ihr Licht wird die erfreu’n.
Einst wirst du heller sehen,
was hier dem Blick entschwand,
schaust von entwölkten Höhen
auf dieses Prüfungsland. -


Neben vielen Leid lag aber sehr viel Freude. Namentlich die Jahre 1864-67 waren für die Großeltern recht glückliche Jahre. In ihnen vergrößerte sich der Familienkreis durch die Heiraten der Tochter Agnes mit Gustav Berring und des ältesten Sohnes Edmund mit Elisabeth Meister sowie durch die Geburten von sechs Enkeln: 1864 Helene Röder (das erste Enkelkind Elisabeth Röder war 1862 erschienen), 1865 Hedwig Berring, 1866 Marie Luyken, Heinrich Röder, Max Berring und 1867 Anna Luyken.

Häufige Besuche von Verwandten verschönten das Dasein und Reisen namentlich zu den Kindern, zu Vetter
Bernhard in die Geburtsstadt Wesel, zu Oheim Albert nach Landfort und zu dem geliebten Bruder Hermann nach Berge brachten manche Abwechselung. Dazu war der Briefverkehr ein sehr lebhafter, denn die Menschen der damaligen Zeit hatten noch Muße, lange Briefe zu schreiben und über ihr Ergehen ausführlich zu berichten.

Ich lasse nun einige Eintragungen folgen, aus denen die Wesensart der Großeltern und die Tiefe ihres Gemütes so recht ersichtlich sind.

22.10.65: Gestern abend kehrte ich von einer Reise nach Münster zum 50jährigen Jubiläum der Besitznahme Westfalens durch Preußens Herrscher zurück.

Ich war am 17. hingefahren und bei dem Generalsuperintendenten Wiesmann auf erfolgte Einladung eingekehrt. Am 18. des Morgens Gottesdienst, wobei Wiesmann vor dem Könige, der Königin, dem kronprinzlichen Paare usw. die Predigt hielt. "Opfere Gott Dank und bezahle deine Gelübde." Wiesmann erhielt sofort vom Könige den Stern zur Roten Adlerorden II. Klasse. Die Predigt war gut,


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allein zu viel Lobhudelei des Königshauses, besonders bei Erwähnung der Freiheitskriege. Da mußte geschichtlich auch des Volkes und seiner Treue Erwähnung geschehen.

Die Erbhuldigung erfolgte auf dem
Schlosse, woselbst der König und die Königin auf einem Balkon des Schlosses, vor dem eine große Treppe aufgebaut war, Platz genommen hatten. Der König dankte auf eine Anrede des Grafen v. Galen und sprach einige Worte, die ich nicht verstand. Ein Hoch, welches folgte, fand unter den Zuschauern, deren Zahl ich auf 50 000 Personen schätzte, wenig Anklang. Des Abends war Illumination und große Tafel in einem eigens dazu erbauten Saale. Das Essen begann um 5 Uhr und war prachtvoll. Ich konnte von meinem Platze aus den königlichen Hof vollständig übersehen. Des anderen Tages war zu Münster große Parade des Militärs und abends im großen Saale des Rathauses Ball. Die Ausstattung des Saales prachtvoll und die vielen Uniformen verschiedener Art und die Toiletten der Damen machten einen eigenen Eindruck. Die Königin und die Kronprinzessin strotzen von Brillanten. Die Königin sah elend aus, der König dagegen frisch und rüstig, die Kronprinzessin sah reizend aus. -

Am Freitag fuhr ich von Münster nach Dortmund, blieb dort bei den Kindern und kam dann am Sonnabend hierher zurück.

29.11.65: Heute las ich folgenden Vers für das letzte Stündlein:

Laß mir, wenn meine Augen brechen,
Herr, Deinen Frieden fühlbar sein.
Komm, Deinen Trost mir zuzusprechen,
Und segne meinen Körper ein.
Gib Ruhe mir in Deinen Armen,
Darin ich Gnad‘ und Frieden fand,
Und trag mich vollends mit Erbarmen
Sanft zu Dir heim ins Vaterland!

Wohl dem, der am Ende seines Lebens in Frieden diese Worte sprechen kann.

28.12.65: Gestern abend ging ich mit Schwager Kapp um das Eichholz spazieren und sprach mit ihm über unsere Zeitverhältnisse und daß soviel Heuchelei existiere und ihr vom Staate Vorschub geleistet werde. Kapp war mit mir einverstanden, daß übrigens manches als Heuchelei ausgelegt werde, was keine Heuchelei sondern innerer Herzensdrang sei. Ich könne es gar nicht leiden, daß man mißliebig über Religion und den König spreche und jeden für einen Scheinheiligen erkläre, der des Sonntags zur Kirche gehe. Wenn wir alles Heilige, die Bande frommer Scheu, wie Schiller es so schön nennt, abstreifen wollen, bleibe uns am Ende nichts Heiligeres als das Geld, und wie es dann im Inneren aussehen mag?!!





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31.1.66: Heute ist der Januar schon wieder zu Ende! Wie rasch fliegt doch die Zeit bei Liebe und Glück! -

Der Krieg von 1866 wurde als "Krieg unter deutschen Fürsten und Völkern" von Großvater sehr unwillig und ablehnend aufgenommen. Er meinte, König Wilhelm habe schlechte Ratgeber, änderte jedoch nach dem Siege von Königgrätz seine Ansicht und nahm nach Rückkehr der eingezogenen Soldaten - "es waren im ganzen 11 Krieger" - an dem Friedensfest in Arnsberg gern teil. Sohn Edmund war auch eingezogen, stand bei der Intendantur des VI. Armeekorps und kam unversehrt nach Pavelwitz zurück.

26.11.66: Heute feiere ich mein 40jähriges Amtsjubiläum. Wie rasch ist die Zeit vergangen, wie schön war sie und wie vieles habe ich in derselben erfahren! Lieber Gott, wie bin ich Dir so dankbar für alles, was ich durch Deine Liebe und Gnade erhalten!

20.12.66: Heute schrieb ich an Julchen nach Berlin und sandte Geld für Julchen und die Kinder. Dann schickte ich das alte Pferd und die Karre, worüber sich unsere Kinder so viele Jahre am Christabend gefreut hatten, nachdem ich es ausgebessert und restauriert hatte, an Meta für den kleinen Heinrich nach Dortmund, fügte auch für Elisabeth die kleine Anrichte und für die dicke Helene Plätzchen, Rosinen und Mandelkerne bei. Nun noch 10 Tage und dann ist Julchen wieder hier.

24.12.66: Der Weihnachtsabend war für mich bei der Abwesenheit meines Julchen ungemütlich. Ich hatte zwar einen Baum geschmückt und Geschenke für Schwager Kapp und Frau sowie für die Kinder angeschafft und umhergelegt, aber überall vermißte ich mein Herzensweib.

20.3.67: Gestern war der Geburtstag unseres Edmund. Mit tiefem Dank gegen Gott muß ich den ganzen Tag daran denken, wieviel Gutes er uns in den 32 Jahren erwiesen. Gesunde kräftige Kinder und Schwiegerkinder und Enkel umgeben uns und erheitern uns das Leben köstlich.

5.4.67: Alle Tage Quälerei und Vernehmungen auf dem Gericht. Heute habe ich mich etwas erholt und im Garten ein paar Stauden und Rosen gepflanzt und ein zweites Rosenbeet eingerichtet.

12.4.67: Am 10. April starb Oheim Dr. Albert Luyken auf Landfort. Seine Todesanzeige stand in der Kölnischen Zeitung. Er ist der letzte der Geschwister meines Vaters und wurde am 21.12.1866 81 Jahre alt. Früher war er der Liebling der Familie; allein als er im 65. Lebensjahre wieder heiratete, war das Verhältnis ein ganz anderes geworden. Freilich hätte die Familie vielen Reichtum von ihm gehabt, wenn er die Heirat unterlassen; doch habe ich es ihm nicht verdenken können! Sein Sohn erster Ehe war gestorben und er saß allein auf dem Gute in noch rüstiger Lebenskraft.


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15.6.67: Heute morgen um 6 Uhr wurde der Fabrikarbeiter P. auf einem Hof der hiesigen Gefangenenanstalt enthauptet. Ich verlas als Untersuchungsrichter das Urteil. Der Kaplan Middendorf begleitete P. betend zur Richtstätte. Es war ein grausiger Anblick, als das Beil fiel. Mehrere Wochen hat mir schon die Geschichte in den Gliedern gelegen; ich kann heute nichts tun.

6.7.67: Frau Oberpostsekretär Sch. kam heute zitternd zu mir herein und bat um ein vertrauliches Gespräch. Sie sagte, daß sie wegen 30 Thalern, die sie aus früherer Zeit verschulde, in größter Verlegenheit sei und ihrem Mann die Angelegenheit nicht entdecken könne, weil sie großen Verdruß befürchte. Zu mir habe sie Zutrauen, daß ich schweige, und hoffe, daß ich ihr das Gesuch nicht abschlage. Ich gab ihr die 30 Thaler.

30.8.67: Gestern Morgen bin ich von meiner großen Ferienreise glücklich wieder hier angekommen. Ueberall wurde mir ein froher Empfang und herzliche Aufnahme bereitet und die Reise hat mir Freude gemacht und wohlgetan. Hier in unserem Hause traf ich
Agnes mit ihren beiden Kindern Hedwig und Max und Meta mit ihren drei Kindern Elisabeth, Helene und Heinrich an. Alle waren frisch und gesund und die Besorgnisse, daß Max Fehler an den Füßchen habe, welche auf englische Krankheit deuten sollten, verschwunden. Mein Julchen schwelgte im Kreise ihrer Töchter und Enkel. -

Im Herbste 1867 traten die ersten Sorgen wegen der Erkrankung der Tochter Agnes an Lungentuberkulose auf. Großvater schreibt dazu:

11.10.67: Ach, wie wird mein Herz von Sorgen über den Zustand unserer lieben Agnes gepreßt. Sie hat schon seit längerer Zeit gehustet und dieses Husten hat sich nach ihrer Ankunft in Berlin noch verschlimmert. Gott gebe, daß sich das Uebel nicht zum Schlimmen wende. -

Für den Winter war ein Kuraufenthalt von Agnes in Mentone (Schweiz) vorgesehen und während dessen fand der kleine, zarte, noch nicht einjährige Max Berring Aufnahme im Großelternhaus.

7.11.67: Wir haben jetzt wie vor 30 Jahren ein kleines Kind mit der Wiege vor dem Bette und die gute Großmutter ist die allerbeste Mutter der Welt. Kein Plage, kein Aufstehen in der Nacht ist ihr zu groß und viel, den ganzen Tag plagt sie sich mit ihrem Herzensmann herum. -

Zu Weihnachten kam auch noch die kleine Hedwig Berring mit der unverheirateten Schwester ihres Vaters, Minna Berring, nach Arnsberg. Die Nachrichten aus Mentone lauteten in den nächsten Wochen verhältnismäßig günstig, aber Großvater schrieb am 21.3.68 ein: Allein die Angst und Sorge sind noch nicht von mir gewichen,





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solange ich noch höre, daß Agnes von dem Husten nicht befreit ist. Jedoch am 31.3.68 heißt es: Der Monat hat köstlich geschlossen. Der Brief von Agnes verkündete: "Ich befinde mich prachtvoll!" Diese wenigen Worte enthalten alles, was ich wünsche. -

Die Kinder Hedwig und Max sind wohl und gedeihen. "Max, ich sage dir und rufe dir hiermit zu: Vergiß nie, was die Großmutter, deine zweite Mama, für dich getan. Du kannst so lieblich "Mama" zu ihr sagen." -

Mitte Mai erfolgte die Rückkehr von Agnes aus Mentone.

19.5.68: Wir haben uns über ihr gutes Aussehen gefreut. Der liebe Gott gebe, daß sie ganz wiederhergestellt wird. -

Eine Nachkur in Lippspringe verlief gleichfalls günstig, sodaß Großvater Ende Juli wohlgemut seine Ferienreise antrat.

21.7.68: Heute haben meine Ferien begonnen. Es ist mir zu Mute wie einem Hund, der von der Kette losgelassen. Ich möchte reisen und genießen und doch ist es hier zu Hause so schön, daß ich wieder nicht fortkommen kann. Ich habe aber an Bruder Hermann geschrieben, daß ich übermorgen zu ihm kommen würde.

11.8.68: Am 28. Juli trat ich meine Ferienreise an und fuhr zunächst nach Berge zu Bruder Hermann und Mine. Die beiden Alten waren allein zu Haus und wir verlebten drei frohe Tage der Erinnerung an vergangene Zeiten. Wir fuhren einen Tag zusammen nach Hamm, und Hermann und ich besuchten ein Konzert auf dem Schützenplatze. Es sind fast 22&nsp;Jahre verflossen, daß ich 8 Jahre zu Hamm lebte und damals jeden Einwohner, ja jedes Kind kannte, und nun waren mir alle Menschen fremd geworden. - Am Mittwoch mit der Eisenbahn zu den Kindern in Dortmund. Louis und Meta wohl, jedoch haben Elisabeth und Heinrich den Keuchhusten, die dicke Helene war bereits davon genesen. - Dann reiste ich nach Wesel und logierte bei Bernhard Luyken. Die alte Vaterstadt Wesel hat noch einen großen Reiz für mich und der alte Rhein entzückt mich, wann ich ihn wieder sehe. In der Sozietät traf ich viele alte Bekannte und Schulfreunde. - Mit Bernhard und Jettchen, den lieben guten Herzensleuten, fuhr ich zum Ruhhofe, die alte Stätte vieler genossener Freuden und Erinnerungen, wo meine Eltern im Grabkeller ruhen. Einen Nachmittag waren wir in der Arche am Rhein und einen anderen auf Diersfort. Das Schloß und der Garten hatten nicht mehr das ehemalige Ansehn und man sah, daß keine Eigentümer darin wohnten. - Von Wesel reiste ich über Altena, wo ich den Schwager Heidemann und Frau auf einen Tag besuchte, nach Arnsberg zurück.

23.10.68: Um 8 Uhr erwarteten wir unsere Kinder Edmund und Elisabeth mit den beiden Enkeln Marie und Anna. Zum ersten Male


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kommen Enkel mit dem Namen Luyken ins Haus. Unsere Freude ist köstlich und wir hoffen, recht vergnügte Wochen zu verleben. -

Das Jahr 1868 schloß mit einer frohen Weihnachtszeit und einem gemütlichen Sylvesterabend in Gegenwart der Dortmunder Kinder und Enkel sehr schön ab.

18.1.69: Heute morgen ließ mir der Appellationsgerichtspräsident Zweigert durch einen Boten sehr liebenswürdig sagen, daß mir der
Rote Adlerorden IV. Klasse verliehen worden ist. Ich kann nicht leugnen, daß ich mich darüber gefreut habe, indem der Orden ein Siegel ist, daß ich im Amte meine Schuldigkeit getan. Mehr als andere ordentliche Beamte habe ich nicht geleistet, ich bin mir aber bewußt, mich oft über die Kräfte angestrengt zu haben. Zufällig nicht aus Verdienst, bin ich seit 300 Jahren der erste Luyken, welcher vom Staatsoberhaupt einen Orden bekommen hat. Gott bewahre mich, dadurch eitel sein zu wollen. Meine Voreltern haben sich durch Tüchtigkeit und Tätigkeit für ihre Kinder und die Familie mehr Verdienste erworben als ich.

Heute glücklich über gute Nachrichten unserer lieben Agnes. Ach, wenn sie sich doch ganz wieder erholen wollte. Unser kleiner Engel Max war in diesen Tagen allerliebst. Mein ganzes Herz hängt an diesem lieben zarten Kinde. Er ist unsere Freude bei Tag und Nacht und die gute Großmutter hat von der Plage mehr Freude als Last.

29.1.69: Am Montag, dem 25., bekamen wir die traurige Nachricht von Louis Röder aus Dortmund, daß Meta krank sei und seit 5 Tagen an Migräne leide. Mein Julchen reiste am Montag hin und bestätigte ihr erster Brief, daß Meta ein nervöses Fieber habe. Bis heute sind die Nachrichten noch nicht besser.

5.2.69: Gestern nachmittag ½ 3 erhielt ich den Trauerbrief aus Dortmund über den Tod unserer Herzenstochter Meta. Sie starb am 4. morgens 7 Uhr an Nervenfieber - jetzt Typhus genannt -. Ach, ich habe bei dieser Krankheit immer sehr gefürchtet und konnte mir doch nicht vorstellen, daß uns das teure Kind genommen werden würde. Und der arme Mann, der seine Frau so zärtlich liebte und verehrte, steht da jetzt mit 3 kleinen Kindern! Doch was hilft alles Klagen? Wir müssen stille halten. Um 1 Uhr werde ich nach Dortmund reisen.

7.2.69: Gestern morgen war die Beisetzung der Leiche unserer lieben Meta auf dem Kirchhofe in Dortmund. Um 10 Uhr ging der Leichenzug vom Hause ab und Pastor Prumer begleitete denselben in Amtstracht, hielt auch am Grabe eine gute Rede, worin er Meta in ihrem Wesen und Leben treu zeichnete. Nach der Beerdigung speisten Heidemanns mit uns und wir fuhren gegen 3 Uhr gleichzeitig von Dortmund wieder ab. Mein Julchen mußte noch dort bleiben.





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um im Hause ändern und Louis mit Rat und Tat beizustehen. So wurde denn wieder eine liebe brave Seele der Erde übergeben, an das Herz der großen Mutter Natur gelegt, von wo, so glauben wir, der Geist zu einem besseren ewigen Leben sich emporschwingen wird. Wir Zurückgebliebenen wissen, was wir an Meta verloren. Sie war uns nicht nur eine liebevolle Tochter, deren volles Herz für Vater und Mutter überströmte, sondern bei ihrem klaren Verstande auch Ratgeber in allen Nöten. Mit der Mutter wurde fast täglich korrespondiert. Ihrem Louis war sie eine Frau, deren Streben nur dahin ging, ihn glücklich zu machen und ihn mit erster Feuerliebe sich zu bewahren. Als Mutter für ihre Kinder mag sie wohl von keiner anderen Mutter übertroffen werden; sie liebte und lehrte sie, übte wo nötig strenge Zucht und hatte sie Tag und Nacht um sich. Aber nicht allein ihrem engeren Familienkreis war ihre Sorge gewidmet, sondern auch ihre Geschwister lagen ihrem liebenvollen Herzen so nahe, daß sie unaufhörlich über ihre Zukunft nachdachte und Rat gab. Mit ihrem Feuereifer wollte sie alle glücklich machen. Alle umfing sie mit gleicher Liebe. Sie wird uns unvergeßlich bleiben. Am meisten haben die lieben Kinder Elisabeth, Helene und Heinrich verloren. Es ist gut, daß sie den Schmerz des großen, für sie unersetzlichen Verlustes nicht empfinden können. -

Ergreifend ist es, aus dieser Zeit die dem Tagebuch beigefügten Briefe der Tochter Agnes an ihre so innig geliebte Mutter zu lesen, denn sie empfand ihren Krankheitszustand nun doppelt schwer. Nachdem Großmutter noch 3 Wochen bis zum Eintreffen einer Haushälterin in Dortmund geblieben war, reiste sie bald darauf mit dem kleinen Max nach Berlin, um den Jungen der Mutter einmal wieder zuzuführen. Großvater notierte am

9.3.69: Heute meldete Julchen ihre glückliche Ueberkunft und die Freude des Wiedersehens. Agnes Zustand mit Husten - ach, er kann mir keine Hoffnungen einflößen. -

Großmutter kehrte am 20. März mit Max nach Arnsberg zurück, wohin am 3. April auch die drei Röder'schen Enkelkinder aus Dortmund kamen. "Sie hatten so gerne kommen wollen und da hatte der Vater Röder die Reise erlaubt." Kaum waren sie wieder abgefahren, da trafen Berrings aus Berlin mit der kleinen Hedwig ein. Nun folgten aber einige schwere Wochen.

21.4.69: Lauter Sorgen über Sorgen im Hause. Die Freudigkeit am Leben ist anscheinend mit Metas Tode getrübt für immer. Unsere Agnes sitzt oben auf dem Zimmer und hustet und schwitzt des Nachts und ist matt und hinfällig. Ich kann nicht glauben, daß sie wieder besser wird. Und unser lieber Herzensmax hatte in voriger Nacht wieder Fieber und sieht jämmerlich aus. Ach! Der Frühling mit seinen goldenen Tagen hat für mich keinen Reiz. Meine arme, arme Frau, die beste treueste Großmutter, welche es gibt


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sieht auch unter dem Kummer elend aus. Ich mag nichts mehr über unser Leben notieren. -

Ende April telegraphierte der Sohn
Arnold, der im Frühjahr 1867 nach Valparaiso (Chile) gereist war, auf der Heimreise von Lissabon aus seine dortige Ankunft: "Je suis arrivé ici aujourd' hui heuresement." Hierzu bemerkte Großvater unter dem

4.5.79: Wie wollen wir uns freuen, wenn unser guter Arnold wieder in unserer Nähe ist. Wenn ein Kind so weit entfernt wie in Chile wohnt, hört doch eigentlich aller Verkehr auf. Mit der Zeit haben auch die Briefe weniger Interesse und man freut sich nur über Leben, Gesundheit und Existenz. Das sind allerdings treffliche Güter, aber zum glücklichen Familienleben rechne ich das öftere Wiedersehn, den Händedruck und den Kuß im elterlichen Hause. -

Mitte Mai traf Arnold "frisch und blühend" in Arnsberg ein, nachdem kurz vorher Agnes mit Extrapost zur Kur nach Bad Soden abgereist war.

15.5.69: Heute ist der Geburtstag unserer lieben Agnes. Jeder im Hause denkt daran, aber er wird nicht erwähnt, weil jeder den Gedanken nicht erregen will, daß es der letzte Geburtstag von Agnes sein könnte. Die Nachrichten aus Soden lauten bis jetzt nicht gut. -

Eine Besserung trat auch nicht mehr ein. Großvater besuchte Berring's Anfang August in Berlin und schrieb sehr wehmütig über seinen Eindruck von Agnes ins Tagebuch, den er in dem Vers zusammenfaßte:

O Herz, sei endlich stille,
Was schlägst du so unruhvoll,
Es ist ja des Himmels Wille,
daß ich dich lassen soll.

Mitte August fuhr Großmutter zu Berring's und blieb dort bis zum Heimgang von Agnes am 5.9.1869.

5.9.69: Heute brachte das beiliegende Telegramm die Nachricht vom Hinscheiden unserer lieben, lieben Agnes. Wie sind wir in diesem Jahre schwer geprüft! Zwei hoffnungsvolle Töchter in den glücklichsten Verhältnissen weggenommen, unser Stolz, unsere Freude. Und die Agnes war ein so liebes, sanftes Weib! Ohne Tränen kann ich nicht daran denken, wie sie am 7. August, als ich in Berlin war, mit uns am Tische saß und sich freute, daß mir der Hecht so gut schmeckte. Sie sah so verklärt aus, ich werde das Bild nie vergessen. Meine arme, arme Frau! -

Dazu schrieb Großmutter: "Nie ist ein reineres Herz zu Gott gegangen. - Noch kann ich es nicht ausdenken. Keine Tochter





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wird mir am Sterbelager sitzen - aber ich habe ja dich noch. Deine Liebe wird mir den einsamen Weg versüßen und mein Walter und meine guten Söhne - und bald ruht aus an deinem Herzen den treuestes Weib." -

Großvater fuhr mit Walter, der kurz vorher das Abiturientenexamen bestanden und ein "sehr gutes, fast vorzügliches Zeugnis" erhalten hatte, nach Berlin, wo am 8. Sept. die Beerdigung stattfand.

11.9.69: Der Sarg stand in der Leichenhalle mit Myrthenbäumen und anderen Blumen umgeben. Pastor Lisko hielt eine erbauliche Rede und ein vierstimmiger Chor sang einen Choral. Dann brachten wir die teure Hülle zum Grabe. Nochmals eine Ansprache von Lisko mit Choral und der metallene Sarg wurde in die Erde gesenkt, mit vielen kostbaren Blumenkränzen geschmückt. Es war ein ergreifender Augenblick und mein Julchen stürzte auf die Knie zum Grabe, um den Sarg noch einmal zu sehen. Er war bereits mit Erde bedeckt. - Es war ein schöner, warmer, stiller Morgen. Wie schön ist die leichte Erde; man könnte sich wünschen, auf diesem Kirchhof begraben zu werden.

Die beiden Kinder Hedwig und Max konnten die schwere Trauer noch nicht fassen, spielten froh in den Zimmern umher. Ach und doch war ihr Kostbarstes - die liebe Mutter - begraben.

25.9.69: Heute kam mein liebes Julchen, die arme abgequälte liebe Mutter und Großmutter von ihrer Reise nach Berlin und Dortmund zurück. Wie ganz anders fühlt man sich im Hause, wenn die Hausfrau wieder da ist. -

Am 29. aber bat Louis Röder wieder um Hilfe der Großmutter, da die Kinder an Scharlach erkrankt seien. Großmutter setzte sich sogleich auf die Bahn und blieb in Dortmund, bis die Gefahr vorüber war. Nach all dem Leid kam aber bald eine neue große Freude ins Haus. Arnold verlobte sich mit Emma Hammacher in Warstein und brachte am Neujahrstag 1870 seine Braut nach Arnsberg.

9.1.70: Unsere liebe Emma, das holde Kind, sehen wir täglich mit wahrer Herzensfreude an.

9.2.70: Unsere liebe süße Emma Hammacher reiste heute mit ihrem Vater, welcher der Schwurgerichtssitzung als Geschworener beigewohnt hatte, wieder zurück. Das waren innig glückliche Tage während ihres Besuchs. Mein Julchen lebte förmlich wieder auf und täglich sprach sie über die Empfindungen, welche sie im Zusammenhang mit Emma gehabt und wie sie sich über die wahrhaft kindliche Liebe, das einfache Wesen und die Tätigkeit und Geschicklichkeit von Emma gefreut habe; sie sagte, sie habe eine zweite Meta wiedergefunden. -


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Dies erste Halbjahr 1870 war von Verwandtenbesuchen besonders reich angefüllt. Auch alle Söhne waren da, ebenso wiederholt die Dortmunder Enkelkinder und Mitte Mai kamen anläßlich der Versetzung des Schwiegersohnes Gustav Berring von Berlin nach Lennep die geliebten Enkel Hedwig und Max für mehrere Wochen. Als von der demnächstigen Reise nach Lennep die Rede war und es hieß, die Enkel möchten bald wiederkommen, sagte Max: "Ich bleibe hier, dann brauche ich auch nicht wiederzukommen." Von sonstigen Ereignissen ist die Inbetriebnahme der Eisenbahnstrecke Hagen - Arnsberg bemerkenswert. Großvater hatte dem Tunnelbau durch den Schloßberg und dem Bau der Brücke über die Ruhr, wie mehrere Aufzeichnungen dartun, großes Interesse gewidmet und schreibt nun:

30.5.70: Heute war ich auf dem Bahnhof, am 1. Juni soll der erste Zug nach Schwerte abgehen. Ich werde um 6 Uhr morgens mitfahren. Zu der Festlichkeit des Mittagessens haben nur wenige Herren gezeichnet. Als vor etwa 18 Jahren der Regierungsrat Liebrecht die ungewisse Nachricht, daß hierhin eine Eisenbahn kommen werde, wurde die Stadt illuminiert, ihm ein Fackelzug gebracht und viele Flaschen Champagner mußten den Hals brechen. Und jetzt - die Eisenbahn ist uns geschenkt, sie ist fertig und die meisten Leute haben Leibweh, daß sie einen Taler für ein Mittagessen ausgeben sollen. -

Die Schwiegertochter Elisabeth erwartete im Juni wieder ein Kind. Dazu hatte Großvater zum Geburtstag am 6. Juni seiner Enkelin Mariechen folgendes reizendes Gedichtchen nach Pavelwitz gesandt:

Der Storch bringt uns ein Brüderlein,
wir klatschen in die Hände,
er trägt's im Schnabel zum Fenster rein,
der Jubel nimmt kein Ende.

Mit roten Hosen angetan
in schwarz und weißem Kleide,
zeigt er Mama sein Kommen an,
fliegt über Wald und Weide.

O lieber Storch, nun sei recht gut,
beiß Mama nicht in die Beine,
damit Papa, wenn's wehe tut,
vor Freuden nur nicht weine.

Und ist's auch nur ein Schwesterlein, wir woll'n uns nicht betrüben,
es soll uns dann das beste sein
und woll'n es herzlich lieben.

Und meint ihr wohl, ein Storch es wär,
der brächt' die kleinen Gäste?
Da irrt Ihr eben Euch recht sehr,
eine Störchin ist die Beste! -





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Das "Schwesterlein" erschien am 29. Juni und wurde Meta genannt.

21.7.70: Ach, wie hat sich seit wenigen Tagen die Welt verändert! Es ist gewiß, wir haben wieder Krieg mit dem infamen Korsen auf Frankreichs Thron. Das gute Frankreich kann nichts dafür. - Als ich am 16. nachmittags nach Lennep reiste, um die Kinder Hedwig und Max wieder zu ihrem Vater zu bringen, war das Kriegsgeschrei bereits am Werke. - Der Korse verlangte von unserem Könige das Unerhörte, daß König Wilhelm erklären sollte, er wolle dafür einstehen, daß der Prinz Leopold von Hohenzollern niemals Ansprüche auf den spanischen Thron mache. Natürlich wurde dies verweigert und darauf erfolgte die Kriegserkärung. Schändlicher Stolz und Hochmut! - Aber die Begeisterung in allen deutschen Gauen für unser Vaterland ist erhebend und, so Gott will, schlagen wir die Franzosen aufs Haupt und jagen den Korsen z. T. --

Unser Philipp reiste gestern Morgen nach Mühlhausen, um als Leuntant in das Ulanen-Rgt. dort einzutreten. Er war voller Begeisterung. Beim Abschiede sagte er zu seiner Mutter: "Mutter, sei nicht traurig, es geht ja gegen die Franzosen." Der liebe Gott stehe ihm bei!

Walter ist seit vorgestern von Bonn zurück. Er möchte auch gern als Soldat eintreten, aber wir behalten ihn hoffentlich zurück. Die Blindheit des einen Auges macht ihn doch untauglich zum Feldsoldaten.

24.7.1870: Ich schrieb an Pastor Schulte zu Niederwenigern und bat ihn, uns zu schreiben, ob er seine Helene uns zum Töchterchen schenken und sie als Bräutchen und künftige Lebensgefährtin unserem Philipp anvertrauen wolle. In der ernsten Zeit müsse das Geheimnis der Liebe offenbar werden. -

Die zusagende Antwort von Pastor Schulte traf umgehend ein und kurz darauf ein sehr lieber Brief von Helene Schulte. Auch über diese Verlobung herrschte im Großelternhaus große Freude.

Am 1. Oktober fand die Hochzeit des Sohnes Arnold mit Emma Hammacher in Warstein zu 14 Personen statt. Hierbei trug Großvater bei Tisch ein Gedicht vor, das am 3. Dezember 1799 für die Hochzeit seines Vaters von dessen Freunde Sethe verfaßt war und in gleicher Weise auf die derzeitigen politischen Verhältnisse mit Frankreich paßte.

Ueber den Verlauf des Krieges hat Großvater sehr ausführliche Eintragungen gemacht und sie durch Beifügung der damals herausgekommenen Kriegsdepeschen sowie durch Photographien fast aller deutschen und französischen Heerführer eindrucksvoll illustriert. Auch sind Bilder von Turkos eingeklebt, die Vetter Bernhard aus Wesel


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geschickt hatte, wo sich ein Gefangenenlager von 15 000 Mann befand. All dies interessierte uns als Kinder besonders lebhaft, wenn wir in Großvaters Tagebuch blättern durften. Nachdem wir aber selbst zwei viel furchtbarere Kriege erlebt haben, als er von 1870/71 gewesen ist, sehe ich von der Wiedergabe dieser Eintragungen ab.

Selbstverständlich wurden die Nachrichten von Philipp aus dem Felde stets mit Spannung erwartet, erregten größtes Interesse und wurden sogleich weiterverbreitet. Phlipp kam wohlbehalten aus dem Kriege zurück. Der Neffe Albrecht von Gillhaussen
(Sohn von Großvaters Schwester Phlippine) starb an den Wunden, die er in der Schlacht bei Mars-la-Tour erlitten hatte, in Düsseldorf und liegt hier auf dem schönen alten Golzheimer Friedhof begraben. Vetter Bernhard's Sohn Ernst in Wesel erwarb sich das Eiserne Kreuz.

Im Großelternhaus war es während der Kriegsmonate stiller als sonst; jedoch waren die Enkel aus Dortmund und Lennep wiederholt da und Weihnachten 1870 wurde in ihrer Anwesenheit sehr vergnügt gefeiert. "Dabei spielten Heinrich Röder und Max Berring am meisten mit den Schiebkarren und den Wagen und Pferdchen, die ich für sie gezimmert hatte."

Schon seit 30 Jahren fanden sich jeden Sonntag um 12 Uhr bei Großvater Freunde und Kollegen ein, um mit ihm ein Stündchen zu verplaudern und ein Schnäpschen zu trinken. Von dieser sog. Sonntagsbörse ist im August 1870 ein Bild gemacht worden, das sich im Tagebuch befindet. Dazu schreibt Großvater: "Ich habe mich oft über die Anziehungskraft, die meine Stube hat, gewundert; an dem kleinen Gläschen Liqueur kann es doch nicht liegen."

Ich fahre fort in der Wiedergabe von Eintragungen:

4.6.71: Heute vor 37 Jahren war unser Hochzeitstag! Wie viele frohe Jahre haben Julchen und ich in Glück und Liebe schon verlebt und doch dünkt's mich auch wie ein Traum! So ist das Leben überhaupt ein Traum. Sind auch Schmerzenstage durchgelaufen, Tage der tiefsten Trauer, wir müssen doch mit Dank nach Oben schauen.

Heute saßen wir mit 5 Enkeln Elisabth, Helene und Heinrich Röder und Hedwig und Max Berring froh um den Mittagstisch und stießen an, wozu Heinrich sagte: Großpapa und Großmama sollen leben!

27.6.71: Gestern Nachmittag kamen Julchen und ich von einer Reise zu den Verwandten nach Wesel zurück. Wir waren 3 volle und 2 halbe Tage dort. Die Reise mit der Bahn dauert 5 Stunden; vor 20 Jahren dauerte sie 2 Tage. Wir logierten bei Vetter Bernhard Luyken und Frau und waren dort recht froh zusammen. Die Häuser im alten Wesel haben fast alle in 50 Jahren ein anderes Kleid angezogen.





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9.7.71: Seit 4. Juli sind die beiden Töchter von Oheim Albert zu Landfort mit Namen Bertine und Helene bei uns und am 6. Juli kamen auch die beiden Töchter von Vetter Bernhard mit Namen Lina und Anna zu Besuch. Alle vier Kinder sind liebe Mädchen und machen uns große Freude. -

Am 15. Juli 1871 wurde in Hamburg das neunte Enkelkind geboren, das den Namen Mathilde erhielt. Die beglückte Mutter Emma schrieb daraufhin an Großmutter einen Brief, zu dem Großvater bemerkt:

4.8.71: Wenn Großeltern solche Briefe erhalten, haben sie alle Ursache, dankend zu Gott nach oben zu schauen. Ich habe den Brief eingeklebt, weil eine junge Mutter darin die Gefühle über ihr Glück des erstgeborenen Kindes so wahr und schön ausgedrückt hat, wie es nur geschehen kann. Julchen schrieb mir: Nur einmal kann eine Mutter so schreiben. -

Großmutter vollendete am 22. August ihr 60. Lebensjahr. Währenddessen war Großvater verreist und schrieb ihr aus Homburg v. d. H. einen Brief, den später mein Vater dem Tagebuch beigefügt hat. Er ist für die herzinnige Liebe der Großeltern zueinander recht bezeichnend und daher gebe ich den Anfang und Schluß des Briefes wieder:

Liebe süße Alte! Heute ist nun wirklich Dein Geburtstag! Als ich um 6 Uhr früh erwachte, habe ich Dich schon in Gedanken abgeküßt. Was Du mir gewesen bist, wie ich Dich liebe und was ich Dir zu verdanken habe, dafür habe ich keine Worte, ich weiß es am Besten. Ich hoffe, daß Du den Tag froh verlebst und daß Du Gustav und die Kinder um Dich hast.... Laß mich für heute schließen. Im Geiste halte ich Dich süße Frau fest in Armen und küsse Dich ab. Dein Gustav.

Die Ferienreise führte Gustav von Homburg zu den Kindern nach Pavelwitz und Hamburg. Hier nahm er an der Taufe der kleinen Mathilde teil und kehrte sehr vergnügt nach Arnsberg zurück.

Das Jahr 1872 begann mit vielen Besuchen von Verwandten. So war Philipp's Braut Helene fast 6 Wochen da und Ende Januar kam Vetter Bernhard aus Wesel, um sich wegen eines Verlobungsantrages Rat zu holen, den der Artillerieleutnant Hugo Kämper aus Minden seiner Tochter Lina gemacht hatte. Dessen Mutter war als eine geborene Heintzmann eine Nichte von Großmutter. Großvater schrieb kurz und bündig in das Tagebuch: "Wenn der Leuntant Kämper ein Ehrenmann ist, ist gegen die Verlobung nichts einzuwenden." Aus dieser Verlobung ist eine sehr glückliche Ehe entstanden.

3.3.72: Heute ist der Geburtstag unseres lieben Sohnes Arnold.


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Der gute Mensch hat uns seit 30 Jahren nur Freude gemacht, darum ein dreifaches Hoch zu seinem heutigen Geburtstag.

Heute schickt mir der Verschönerungsverein ein Diplom über die Ernennung zum Ehrenmitglied des Vorstandes. Es macht mir doch Freude.

26.4.72: Gestern Mittag 1 Uhr fuhr unser Walter wieder ab, um nach Straßburg zu gehen. Er will dort sein letztes Studiensemester halten. Wir waren wehmütig gestimmt und hatten uns an seinen Aufenthalt hier wieder so gerne gewöhnt. Eine wahre Freude ist's mir aber, daß er Straßburg gewählt hat; ich habe immer dazu geraten. Diese herrliche Gegend und das Volk, welches nun erst wieder deutsch werden soll, gerade jetzt nach dem großen Kriege kennen zu lernen, ist interessant.

20.5.72: Die größte Freude, welche uns das Pfingstfest gebracht, ist die, daß unser
Philipp sein Examen zu Berlin als Bauführer bestanden hat.

20.6.72: In der Zeitung stand, daß die Bergleute im Essener Revier Streik machen, um höheren Lohn zu bekommen. Es soll ihnen nach dem Beschluß der Zechenverwaltungen nicht gelingen. - Der Arbeiter muß bezahlt werden; allein die Leute haben schon hohen Lohn. Wie sollte das auch gehen bei den noch immer niedrig stehenden Gehältern der Beamten, wenn ein Bergmann so viel verdient wie ein Assessor.

5.7.72: Am vergangenen Mittwoch am 3. d. Mts. Überraschte uns Frau W. Hammacher aus Warstein des Morgens um 7 Uhr, als wir eben aufgestanden waren, und brachte uns unsere liebe Schwiegertochter Emma und Frau Dr. Sonntag, Tochter von Vetter Karl Meister aus Hamburg mit. Es war ein abscheuliches Regenwetter, doch saßen wir den ganzen Tag vergnügt zusammen und hatten des Abends eine kleine Gesellschaft geladen. Der andere Tag war freundlicher, wir konnten Spaziergänge machen und brachten die Lieben wieder zum Eisenbahnhofe.

Frau Dr. Sonntag übergab mir Briefe meines verstorbenen lieben Vaters, den einen vom 30.3.1803, welcher meine Geburt dem geliebten Schwager meines Vaters, Pastor Friedrich Meister zu Wöbbel anzeigt. - Wie glücklich waren doch meine Eltern. Aus jeder Zeile des Briefes geht dies hervor! Und doch wie bald wurde das köstliche Eheglück zerstört, als der gute Vater am 7.10.1807 zu Amsterdam auf einer Vergnügungsreise, welche meine Mutter dorthin zu der Schwester des Vaters, Frau Bernhard Waltmann, angetreten hatte und auf welcher sie krank geworden war und zu Amsterdam von Vater besucht wurde, starb! Mutter hatte das Ner-





Astronomische Uhr
im Straßburger Münster




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venfieber, der Vater wachte bei ihr des Nachts, wurde selbst von der Krankheit ergriffen und starb, während die Mutter genas. Es war große Trauer in der Familie! Der Inhalt dieses Briefes gibt mir zu nachstehenden Notizen Veranlassung:

Mein Vater war seit 1793 Pastor zu Wallach auf dem linken Rheinufer. Er war mehrere Jahre verlobt, weil der Vater meiner Mutter, der Pastor Philipp Schneider zu Wesel nicht zugeben wollte, daß seine Tochter auf französisches Gelände heiraten sollte und hoffte, daß mein Vater nach Preußen versetzt werden würde. Inzwischen zogen sich die Aussichten in die Länge und so erfolgte die Hochzeit am 3. Dezember 1799. - Die Eltern lebten in Wallach sehr glücklich und hatten nur das Unangenehme, daß der Rhein die Grenze zwischen Frankreich und Preußen bildete und keine steuerpflichtigen Waren von dem einen Gebiet in das andere ohne strengste Untersuchung mitgenommen werden konnten. Durch den langen Aufenthalt auf französischem Gebiet und den Umgang mit Offizieren, welche in der Pfarrwohnung in Quartier lagen, war Vater der französischen Sprache so mächtig geworden, daß er zu Wesel oft den Prediger der französischen Gemeinde vertreten und französisch gepredigt hat. Nach dem Tode meines Vaters zog Mutter mit uns 3 Kindern, von denen mein Bruder Hermann erst 2 Jahre alt war, in das elterliche Haus, woselbst ihre Mutter, die Witwe Philipp Schneider geb. Löhr, noch bis zum Jahre 1908 lebte. In diesem Hause lebten auch die beiden unverheirateten Brüder meiner Mutter, der Pastor Arnold Schneider, welcher im Jahre 1801 nach dem Tode seines Vaters Philipp Schneider, die Pfarrstelle zu Wesel bekommen hatte, und Matthias Schneider, welcher Kaufmann war und Weinhandel trieb. An diese Oheime knüpfen sich meine frühesten Jugenderinnerungen. - Die Mutter bezog aber im Jahre 1828 ein eigenes Haus auf der Baustraße, weil die beiden Brüder alte verkehrte Menschen geworden waren und die Mutter wegen ihrer Kinder, von denen sich Philippine bereits mit dem Assessor von Gillhaussen verheiratet hatte, nicht geniert sein wollte. -

Hieran schlossen sich Großvaters Bemerkungen über die Reise- und Verkehrsverhältnisse in seiner Jugendzeit, die ich 1953 auf dem 5. Familientag vorgelesen habe und auf Seite 18 -20 des Chronikheftes 1953 wiedergegeben sind.

6.8.72: Gestern kehrte ich von einer Reise nach Straßburg und Homburg zurück. Walter und ich trafen uns unterwegs. Wir verlebten in Straßburg ein paar recht frohe Tage und bestiegen das Münster. Die Fernsicht von der Platte ist prachtvoll. Wir haben auch die merkwürdige Uhr im Münster besehen. Wenn die Uhr 12 schlägt, dreht ein zur Seite stehender Engel das Stundenglas um und ein anderer Engel schlägt vorher die Viertel. Ein Gerippe - der Tod - schlägt die volle Stunde mit einem Hammer auf eine Glocke und die


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12 Apostel machen um Christus, der oben in einer Figur dargestellt ist, den Umgang. Alle verbeugen sich einer nach dem andern vor Christus, und sobald Petrus erscheint, kräht dreimal unter Flügelschlag ein obenstehender Hahn ganz natürlich und laut. Zuletzt breitet Christus die Arme aus und erteilt den Segen. -

Im Homburg war ich 10 Tage und sah Kaiser Wilhelm dort im Theater. Die Stadt hatte Ehrenbogen errichtet und waren alle Häuser beflaggt.

22.8.72: Heute war der Geburtstag meiner lieben alten jetzt 61-jährigen
Frau. Sie hat heute die Zahlen vertauscht, in denen ich mich mit ihr verlobte. Wie konnte ich damals denken, daß ich mit dem zarten Backfisch so glücklich werden, so schöne Jahre verleben sollte, daß sie mir 7 Kinder schenken würde, von denen jetzt 4 brave gesunde frische Söhne, die unterdessen Männer geworden sind und unser Leben verschönern, noch leben. Der liebe Gott erhalte sie uns.

20.10.72: Am 17. Oktober hatten wir ein sehr schönes Fest. Der Gymnasialdirektor Hoegg feierte sein 50jähriges Amtsjubiläum. Da meine vier Söhne alle das Gymnasium, während Hoegg Direktor war, besucht hatten, veranlaßte ich sie, an dem Fest teilzunehmen und zu meiner großen Freude kamen die Jungens herangereist und mein Julchen und ich fühlten uns glücklich, alle Söhne bei uns versammelt zu sehen. Des Mittags war ein Festessen im Kasino, woran über 170 Personen teilnahmen und wobei große Heiterkeit und Freude sich kund gab. Ich habe nie ein Fest mitgemacht, wo solche Innigkeit und Herzlichkeit herrschte.

2.11.72: Gustav Berring teilte uns heute mit, daß er zur Regierung nach Oppeln versetzt sei. Ist auch diese Versetzung für ihn ehrenvoll, so war sie für uns Alte doch sehr niederschlagend. Die lieben Kinder können wir nun nicht mehr bei uns haben und herzen; ach, sie werden uns bald vergessen.

8.12.72: Gestern abend war eine große Gesellschaft beim Präsidenten Zweigert, zu welcher wir geladen waren und hingingen. Ich habe am Tisch neben Frau Reg.-Rat Flügge gesessen und mit ihr über die Heimat gesprochen und wie schön es sei, ein "Heima" zu haben. Heimat, Heima ist der lieblichste Laut zur Bezeichnung der seligen Stätte, wo der Mensch sein Dasein von liebenden Eltern empfing, wo er seine goldenen Jugendträume durchlebte und wo er mutig in die Welt hinausstrebt, um doch immer in ganzer Liebe dahin zurückzukehren.

29.12.72: Gestern Abend hatten wir eine große Freude. Walter wurde in Köln examiniert und sandte uns ein Telegramm, daß er die Referendarprüfung gut bestanden. -





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Das Jahr schloß sehr vergnügt in demselben Familienkreis, der auch im vorigen Jahr die Großeltern umgeben hatte.

4.1.73: In diesen Tagen wurde ein Kollekte für die Willibrordi-Kirche zu deren Ausbau abgehalten. An dieser Kirche stand viele Jahre mein Großvater Philipp Schneider als Pastor und nach ihm Oheim Arnold Schneider. An der Stelle, wo die Kirche steht, hat der Apostel der Friesen Willibrord im Jahre 780 die Anwohner des Rheins und der Lippe getauft und war hier eine Kapelle. Im 15. Jahrhundert brannte diese nieder und da wurde der Bau aus Gaben von Pilgern und Geschenken des Herzogs von Kleve usw. begonnen. Der Bau war noch nicht vollendet, da trat die Reformation ein und am 11. Januar 1594 wurde der Turm durch Blitz zerstört. In Wesel fand die Reformation den sichersten Anhalt, und obgleich Karl V der gewaltige Kaiser drohte, gewährten die Weseler doch den Glaubensgenossen, die sich dorthin wendeten, Schutz und Gastlichkeit. Der Historiker Lehnhoff erklärt Wesel für die Mutter aller niederländischen Kirchen.

5.3.73: Hurrah! Hurrah! Eben geht die Depesche ein, daß unserem ältesten Sohn Edmund um 2 ½ Uhr morgens ein Sohn geboren worden. Meine gute alte Großmutter ist außer sich vor Freude und ringt mit Händen und Armen umher - welch ein Glück!!! O daß der Junge nun ein recht braver Mensch werden möge.

Ich kann nicht leugnen, daß ich sehr gerührt und erfreut darüber bin, daß der Junge meinen Namen Gustav führen soll.

26.3.73: Heute ist mein Geburtstag, ich bin 70 Jahre alt! Dieses Leben, heißt es, währet 70 und wenn's hoch kommt 80 Jahre. Wie dankbar muß ich hinaufschauen für Liebe und Glück, womit mich der liebe Gott so reichlich beschert hat! -

Es war heute ein wunderschöner Frühlingsmorgen und um die Tafelrunde beim Kaffee saßen unsere Kinder Arnold mit Emma, Philipp mit seinem Bräutchen Helene und Walter. Die kleine Mathilde von Arnold überreichte mir einen Blumenstrauß, verlangte ihn aber bald weinend zurück. Er war auch zu schön, um verschenkt zu werden.

Viele liebe Briefe kamen von Kindern, Enkeln und Verwandten; Gustav Berring schickte durch den Konditor Gerling einen Prachtkuchen; ebenso sandten die Herren der alten Börse einen wundervollen Kuchen. (Die Freunde schenkten einen Lehnstuhl.) - Alle Dinge sind mir sehr, sehr lieb; es sind ja Zeichen, daß man mich lieb hat. Was will ich mehr? -

Am 28. September 1873 wurde in Hamburg das elfte Enkelkind geboren und Paula genannt. "Emma hatte sich so sehr einen Sohn gewünscht; aber wenn das Kind da ist, ist alles gut. Mögen nur Mutter und Kind gesund bleiben."


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1. Februar 1945 zwölf schwere Bomber ihre Last über Wesel abwarfen. Sie waren ein Vorbote des aufziehenden Unheils, der viele Einwohner den Entschlussfassen ließ, in die ländliche Umgebung auszuweichen oder sich gar evakuieren zu lassen.

Am 7. Februar nahmen Montgomerys Streitkräfte dann die Kampfhandlungen auf, die sie in den Besitz des gesamten linken Niederrheins bringen sollten. Wesels grausames Ende konnte jetzt wegen seiner strategisch bedeutungsvollen Lage nicht mehr ausbleiben. Am 16.2. wurde die Stadt in einem 25 Minuten lang andauernden Fliegerangriff mit Bomben völlig zugedeckt. Es war wahrhaft der Untergang der alten Hansestadt und späteren Festung, deren Verluste an Toten zunächst nicht übersehen werden konnten. Ein Strom derer, die das nackte Leben gerettet hatten, flüchtete in die östlichen Landgemeinden und sie taten sehr gut daran, denn am 18. und 19. Februar folgten abermals zwei schwere Fliegerangriffe, die weitere Vernichtung brachten, die Trümmer aufs neue umpflügten und Wesel derart "überbombten", daß es für die Sieger bei ihrem Vormarsch ein peinliches Verkehrshindernis war. Mehr als 800 Tote war der Blutzoll, den das Schicksal Wesel auferlegt hatte, dazu noch den Verlust der Wohnungen und fast allen Hausrats. Was von den Bomben noch nicht restlos zerstört war, sank durch den späteren Artilleriebeschuß und durch die Zerstörungslust der freigewordenen Zwangs- und Fremdarbeiter in Schutt und Asche. Es wird angegeben, daß die Stadt zu 97 Prozent zerstört worden sei; diese Angabe dürfte kaum zu hoch gewählt sein, wenn man daran denkt, daß außer den Hochbauten auch das unterirdische Versorgungs- und Nachrichtennetz allerschwerste Schäden aufwies

In den Erdkämpfen war, nachdem das linke Rheinufer in den Besitz des Feindes gelangt war, noch einmal eine gewisse Pause eingetreten, während der er seine Kräfte zwischen Mörs und Calcar für den Rheinübergang bereitstellte. Die Operation selbst führte die Bezeichnung "Plunder" und war mit der unter dem Deckwort "Varsity" gehenden Luftlandung verbunden. Diese setzte in den Morgenstunden des 24. März ein. 6040 Flugzeuge waren angesetzt, der Himmel dröhnte und verfinsterte sich. 40 000 Soldaten wurden im Hinterland der Rheinfront als Fallschirmjäger und mit Hilfe von geschleppten Lastenseglern abgesetzt. In der flachen grünen Isselniederung zwischen Lackhausen - Brünen - Hamminkeln nördöstlich von Wesel, das bedeutet auch auf den Weiden der beiden Güter Ruhhof und Sorgvliet, gingen Hunderte von Lastenseglern nieder, und diese Streitkräfte konnten nun die vorderste deutsche Linie im Rücken fassen und aufrollen. Schon am folgenden Tage war es klar, daß die dünne und brüchige Front der Deutschen zusammengebrochen war und der Kriegsschauplatz von Wesel weiter nach Osten rücken würde.


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Friedrich dem Großen stattgefunden. Der Kronprinz hatte sich dem überstrengen Regiment des Vaters bekanntlich durch die Flucht nach England entziehen wollen, war aber bei Sonsfeld festgenommen und durch den damaligen Eigentümer dieses Rittergutes, den Freiherrn von Wittenhorst zu Sonsfeld, in die Weseler Zitadelle eingeliefert worden. In zorniger Erregung soll der König dann den vor ihn geführten Thronfolger beinahe mit seinem Degen erstochen haben, doch sei der General von Mosel ihm mit den Worten: "Majestät, töten sie mich, aber schonen Sie Ihres Sohnes" in den Arm gefallen.

Familiengeschichtlich mag es interessieren, daß die Wittenhorsts später die Ungnade des Königs Friedrich zu fühlen bekamen und sich schließlich auch von Teilen ihrer Grundstücke trennen mußten. Dabei ging im Jahre 1810 der größte Teil von Sonsfeld durch Kauf an Christina Waltmann geb. Luyken und ihren jüngsten Bruder Dr. med. Johann Albert L. - Landfort über, der diese Besitzung nach dem Tode der Schwester allein übernahm. Durch die Verhaftung des Kronprinzen bei dem Sonsfelder Wald wurde für diesen die Bezeichnung "Friedrichsbusch" üblich. Auch in den Tagebuch-Aufzeichnungen meines Großvaters Bernhard L. wird nicht von Sonsfeld gesprochen, sondern es heißt beispielsweise unter dem 17. November 1827: "Jagdpartie mit Gustav und Georg zum Friedrichsbusch" oder unter dem 28. November des gleichen Jahres: "Mit Vater und Oheim Albert Friedrichsbusch besehen".

Einige Bilder mögen diese Ausführungen ergänzen. Bild 1 zeigt die Hauptverkehrsstraße Wesels in früherer Zeit, das Bild 2 das Trümmerchaos. Das 3. Bild gibt einen Eindruck von der neuen Stadt, deren Wiederaufbau entlang der Hauptgeschäftsstraße gut fortgeschritten ist. Ein modernes, in seiner Bauform wenig ansprechendes Rathaus steht jetzt an der Stelle der völlig niedergelegten Matenakirche, Post und Bahnhof haben zweckmäßige und schöne Neubauten erhalten, eine Straßenverkehrsbrücke spannt sich wieder über Lippe und Rhein zur linken Seite des Stromes. Auch Kirchen und Schulen, Altersheim und Krankenhaus werden wieder annähernd den Bedürfnissen gerecht. Ein großes Hotel befindet sich im Bau und, wenn das gegenwärtige Tempo der allgemeinen Bautätigkeit beibehalten wird, so mögen in etwa 3 - 4 Jahren die meisten Straßen und Plätze wieder geschlossen sein.

Nachdem Wesels Einwohnerzahl in den Februartagen 1945 auf wenige hundert Menschen, die am äußersten Stadtrand ihr Heim hatten, zusammengeschmolzen war, nimmt die Bevölkerung entsprechend der Bautätigkeit stark zu und mit Befriedigung stellt man bei der Stadtverwaltung fest, daß Wesel heute mehr Einwohner zählt als vor dem Kriege, nämlich 26 000.


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Die Schreckenstage des Februar 1945 hatten natürlich zur Folge gehabt, daß die Behörden, Verwaltungen und Organisationen weitgehend zerflatterten. Sie wuchsen erst allmählich wieder in ihre Aufgaben hinein, sind aber heute ausnahmslos unter recht günstigen Bedingungen untergebracht. Auch die gesellschaftlichen Vereinigungen waren für längere Zeit gesprengt; unter ihnen hatte die I. ältere Bürger-Sozietät, die bereits am 1. Oktober 1790 gegründet worden war, eine besonders angesehene Stellung. Viele Namensträger unserer Familie waren eifrige Mitglieder dieser Gesellschaft gewesen, weshalb ich im Jahre 1949 gebeten wurde, den Vorsitz, den Alfred L. von 1926 bis zu seinem Tode im Jahre 1929 innegehabt hatte, zu übernehmen und die alte Tradition wieder aufleben zu lassen. Neue Räume konnten eingerichtet werden und würden auch bei künftigen Familientagen für die eine oder andere Veranstaltung zur Verfügung gestellt werden können.

In jenen Tagen, da sich Wesel vor die Aufgabe gestellt sah, die Trümmer zu räumen und den Wiederaufbau zu beginnen, mußte es sich Gedanken darüber machen, wer ihm wohl in seiner größten Not Hilfe bringen könne noch über diejenige hinaus, die vom Staat geleistet werden konnte. Es lag nahe, an die schon erwiesene große Hilfsbereitschaft der Vereinigten Staaten von Amerika zu denken, und so entsann man sich, daß es ja ein Weseler Bürger gewesen war, nämlich Peter Minuit, der als der Gründer von New York zu gelten hat. Ein Freundschaftsverhältnis zu dieser Weltstadt entwickelte





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29. März 1902
Die im Eis eingeschlossene "Gauss"

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Eine Erinnerung an die Deutsche Südpolar-Expedition 1901/03

Von
Karl-Heinz Luyken (XI 48 WA).

Im Juli erhielt ich von Onkel Walter einen Zeitungsausschnitt, den ihm Kusine Hildegard Braasch geschickt hatte. Hiernach ist vor einigen Monaten in Neuseeland eine Flaschenpost aufgefischt worden, die laut ihrem Text im Frühjahr 1903 - also vor 52 Jahren! - von der Deutschen Südpolar-Expedition von den Kerguelen-Inseln abgesandt war.

Wie meine Ermittlungen ergeben haben, gehört diese Flaschenpost zu den 196 Flaschenposten, welche die Expedition am 1. April 1903 bei ihrer Ausfahrt mit der "Straßfurt" aus Royal Sound der Kerguelen-Inseln zur Erforschung der Meeresströmungen über Bord geworfen hatte.

Da mein Vater Karl (X 45 WA), der Begründer der Chronikblätter, an dieser Expedition teilgenommen hat und 1 ½ Jahre unter sehr schwierigen Verhältnissen auf den Kerguelen wissenschaftlich tätig war, komme ich bei dem Interesse, das heutzutage wieder an solchen Südpolar-Expeditionen besteht, dem Wunsch von Onkel Walter gern nach, einiges über die damalige Expedition zu berichten.

Schon bevor Amundsen als erster im Jahre 1911 den Südpol selbst erreicht hatte, war die Erforschung der Antarktis Gegenstand verschiedener Expeditionen. Im Vergleich zu dem Nordpol ist das Südpolargebiet deshalb von besonderer Bedeutung, weil unter dem Eise des Südpols Land verborgen liegt, der sogenannte "sechste Erdteil". So war es unter anderem das Ziel einer am Anfang unseres Jahrhunderts vom Deutschen Reich entsandten Expedition, die Ausdehnung dieses Landes in gewissen Gegenden des Polarkreises und die Verbindungen einiger bisher entdeckter Landteile miteinander näher zu ergründen. Der von Professor Dr. Erich von Drygalski geleiteten Expedition gehörten mehrere deutsche Wissenschaftler an, die nicht nur auf geographischem und geologischem, sondern auch auf biologischem, bakteriologischem, meteorologischem und erdmagnetischem Gebiet arbeiten und beobachten sollten. Während die Hauptexpedition mit dem für diese Aufgaben hergerichteten Dreimastsegelschoner (mit Hilfsmaschine) "Gauß" zu mehr als einjähriger Tätigkeit in das eigentliche Südpolargebiet vordrang, hatte ein Teil der Wissenschaftler auf den Kerguelen, einer unter französischer Hoheit stehenden, in geographischer Länge etwa zwischen Australien und der Südspitze Afrikas gelegenen Inselgruppe eine Zweigstation errichtet. Sie sollte durch regelmäßige Untersuchungen einen wichtigen Vergleich mit den Beobachtungen der Hauptexpedition ermöglichen. Mit





Der Dampfer "Karlsruhe"



Grab eines chinesischen Matrosen
Quelle: Expéditions - ArchaeObs



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Lage vom Luyken-Plateau

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dieser Aufgabe waren betraut: Dr. Emil Werth auf naturkundlichem Gebiet, Dr. Joseph Enzensperger auf meteorologischem Gebiet und mein Vater, der die erdmagnetischen Arbeiten übernommen hatte. Ueber seine Erlebnisse möchte ich hier folgendes berichten:

Mein Vater reiste zunächst von Bremen mit dem Passagierdampfer "Karlsruhe" des Norddeutschen Lloyd nach Australien. In Sydney bestieg er den Dampfer "Tanglin" (deutsch: Drachen). Auf diesem Dampfer, der bisher nur Fahrten an der chinesischen Küste gemacht hatte und nun von der Reichsregierung für die Weiterfahrt der Zweigstationsmitglieder von Sydney nach den Kerguelen gechartert worden war, wurde das Ausrüstungsmaterial der Zweigstation und zum Teil auch der Hauptexpedition verladen. Am 12. Oktober 1901 verließen mein Vater und Dr. Enzensperger mit dem "Tanglin", der noch 80 Polarhunde an Bord genommen hatte, Sydney, während Dr. Werth die Fahrt mit der "Gauß" mitmachte, die erst später auf den Kerguelen eintraf. Die Fahrt wurde durch starke Gegenwinde erheblich verzögert. Unterwegs mußte zweimal beigedreht und zur Glättung der Meeresoberfläche Oel abgelassen werden, da sonst die auf dem Oberdeck verstauten Polarhunde und die Benzintanks von den über die Reeling schlagenden Wellen in die See gespült worden wären. Daher konnte der "Tanglin" erst am 9. November 1901 in den großen "Royal Sound" einlaufen, der von Osten her etwa 20 Seemeilen in das Inselland einschneidet und an dessen westlichem Ende das Schiff in der sogenannten "Beobachtungsbucht" vor Anker ging. Ueber seine ersten Eindrücke bei der Einfahrt schreibt mein Vater: "Vor uns lagen zahlreiche große und kleinere Inseln im Sund. Von Tausenden von Vögeln, hauptsächlich Kormoranen und Möwen verschiedener Art mit lautem Geschrei umschwärmt, zogen sich an den Ufern des Sundes dunkle Basaltrücken hin, die von helleren Schichten durchzogen waren und hinter denen steil abfallende oder langsam sich absenkende Basaltkuppen sichtbar wurden. Ihre Hänge waren teilweise schon von frischem Grün bedeckt (- November ist Frühlingszeit auf der Südhalbkugel! -). Die Kämme und Gipfel waren von Neuschnee umhüllt. Am weiteren Horizont ragten die schneebedeckten steileren Gipfel höherer Gebirgsmassen empor, so des Wyville Thomsen im Süden und des Mt. Ross (1850 m) im Westen vor uns."

Nach der Ankunft wurde sofort mit dem Aufbau der von der Heimat mitgenommenen Gebäude, insbesondere des Stationshauses begonnen. Diese Bauarbeiten gingen aber nur langsam voran; denn unter der Mannschaft der "Tanglin", die hierbei half und die nur aus malayischen Chinesen bestand, waren bald nach der Ausfahrt aus Sydney Beri-Beri-Erscheinungen aufgetreten. Diese schlimme Seuche, die später auch für die Stationsmitglieder selbst verhängnisvoll werden sollte, ergriff schließlich fast die ganze Mannschaft. Zwei Matrosen starben noch während des Aufenthalts des "Tanglin". Nach Fertigstellung des Stationshauses mußte der "Tanglin" am 21. Dezember


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wegen bedrohlicher Verminderung seines Kohlenvorrates die Insel verlassen. Am 2. Januar 1902 traf mit Verspätung die "Gauß" selbst ein, die auch Dr. Werth an Bord hatte. Sie lag noch den ganzen Januar über dort, um das vom "Tanglin" herantransportierte Material, soweit es für die Hauptexpedition bestimmt war, zu übernehmen. Am 31. Januar verließ diese die Insel in Richtung Süden; mein Vater, Dr. Werth und Dr. Enzensperger blieben mit nur zwei Matrosen zurück.

Der gesamte Inselkomplex der Kerguelen hat etwa die Größe Mecklenburg-Schwerins. Er ist vulkanischen Ursprungs. Das hohe, auf dem westlichen Teil der Hauptinsel sich hinstreckende Plateau, das den Namen "Luyken-Plateau" erhalten hat, ist von Inlandeis bedeckt. Von diesem Höhenzug ziehen sich in langen Furchen sieben breite Paralleltäler nach Osten hin. Von einem 150 Meter hohen Basaltberge, der sogenannten "Treppe", genoß mein Vater einen prächtigen Rundblick über zahllose dunkle und kahle, zum Teil grotesk geformte Basaltkuppen, sowie über kleinere und größere Seen, die die Talkessel füllten. Die Vegetation war dürftig. Baum und Strauch fehlten gänzlich. Der niedrige Halbstrauch Acaena wuchs nur an windgeschützten Stellen. Außer den Blüttenpolstern der Azorella gediehen noch die kleinen Stauden des sogenannten
Kerguelenkohls, Prinlea antiscorbutica genannt, weil die Skorbuterscheinungen beim Genusse der Pflanze verschwanden. Daher war er als frisches Gemüse willkommen, war aber leider nur noch vereinzelt zu haben; denn die von einer früheren Expedition im Jahr 1874 ausgesetzten Kaninchen hatten bei ihrer starken Vermehrung diese Pflanze fast völlig vernichtet.

Das Klima der Inseln war unter ozeanischem Einfluß das Jahr über ziemlich gleichbleibend; die mittlere Jahrestemperatur betrug nur etwa 3 Grad Wärme. Infolge häufiger Niederschläge waren nur 7 Tage im ganzen Jahr heiter. Schnee gab es in allen Monaten, auch im Sommer. Teilweise traten heftige Stürme auf, die allerdings nur selten an der gegen Westen geschützten Station selbst Schaden anrichteten, aber doch manches mühsam Aufgebaute zerstörten. An Tieren bevölkerten die Insel Pinguine, Möwen, zahlreiche Nachtvögel; sogar ein Riesensturmvogel wurde gefangen, ein weiblicher See-Elefant erlegt, desgleichen einige Robben, die wissenschaftlichen und nicht zum wenigsten auch kulinarischen Nutzen brachten. Willkommen war auch das Fleisch der Kaninchen, die insbesondere der treue Begleiter meines Vaters, sein Hühnerhund "Treff", zu fangen und sogar mit Maul und Vorderpfoten geschickt abzuziehen verstand.

Im April 1902 unterbrach der Besuch des Dampfers "Essen" das einsame Leben der Wissenschaftler für kurze Zeit. Die Berichte und Briefe, die er von der Insel für die Heimat mitnahm, enthielten nur Gutes über den Gesundheitszustand aller Stationsmitglieder. Da zeigten sich im Juni 1902 bei Dr. Werth Krankheitserscheinungen, die bis





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zum August ein bedenkliches Maß annahmen: Schlaflosigkeit, starke Erschöpfung, Anschwellen beider Beine, unruhiger Herzschlag, schließlich auch Lungenschmerzen und starke Atembeklemmungen. Eine endlich eingetretene Besserung wurde von Rückfällen unterbrochen. Aehnliche Erscheinungen traten bald auch bei Dr. Enzensperger auf. Es wurde nun zur Gewißheit, was man bereits bei Dr. Werth vermutet hatte: es war die unheimliche Beri-Beri, eine mit Lähmungen und Kräfteverfall verbundende, infolge Vitaminmangels auftretende Nervenerkrankung, die wohl durch die kranken Chinesen des "Tanglin" seinerzeit mitgebracht worden war. Bei Dr. Enzensperger verschlimmerte sich die Krankheit trotz aller Versuche, sie mit den nur geringfügig zu Gebote stehenden Medikamenten, mit Ernährung durch Kaninchen- und Entenfleisch sowie grünes Gemüse und dergleichen aufzuhalten, derart, daß er ihr trotz seiner gesunden Natur am 2. Februar 1903 erlag. Hierdurch war der kleine Kreis schwer getroffen, so daß die Uebriggebliebenen während der restlichen Zeit ihres einsamen Aufenthalts gänzlich unter dem Eindruck dieses traurigen Ereignisses standen. Für meinen Vater war die Lage besonders schwierig, weil er nun die wissenschaftlichen Arbeiten auf allen drei Gebieten, soweit es ihm möglich war, übernehmen mußte. Denn bei Dr. Werth hatte die Aufregung einen neuen Rückschlag seiner noch nicht überstandenen Krankheit herbeigeführt. Im Laufe des Februar wurde sein Zustand derart kritisch, daß man mit Ungeduld auf die schon fällige Ankunft des Schiffes wartete, das die Station heimholen sollte. Da endlich traf, mit einmonatiger Verspätung, am 30. März, der Dampfer "Staßfurt" in der Beobachtungsbucht ein. An Bord des Schiffes konnte Dr. Werth nun bessere Verpflegung erhalten. Nach Verladung des Materials und Verschließung des Stationshauses, in dem etwas Proviant und einiges Gerät gelassen wurden, lichtete die "Staßfurt" am 1. April 1903 die Anker und lief am 16. April in Port Jackson in Australien ein. Hier mußte Dr. Werth noch Monate bis zur völligen Genesung verweilen.

Im April kehrte auch die Hauptexpedition aus dem Südpolareis in Richtung Kapstadt (Südafrika) zurück.

Auf welchem Wege mein Vater selbst nach Deutschland heimgekehrt ist, darüber kann ich aus dem mir infolge von Kriegszerstörungen nur noch dürftig vorliegendem Material leider nichts entnehmen. Die traurigen Erlebnisse in der einsamen Inselwelt der Kerguelen aber haben noch lange auf Vater eingewirkt. Denen, die ihn nach seiner Rückkehr wiedersahen, fiel auf, wie ernst und verschlossen der früher so heitere und fröhliche Mann geworden war. Die Auswertung der Expeditionsergebnisse, insbesondere die Mitarbeit an dem vielbändigen Südpolarexpeditionswerk hat ihn noch jahrelang neben seiner eigentlichen Berufstätigkeit sehr stark in Anspruch genommen.


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Chronikblatt 1956